Das Geheimnis des Bündner Freiheits-Helden (1596 — 1639)
Ist das wirklich der Schädel von Jürg Jenatsch?

Wissenschaftler gruben den Leichnam des machtbesessenen Pfarrerssohns zum zweiten Mal aus. Bis alle Geheimnisse gelüftet sind, braucht es wohl noch ein drittes Mal.
Publiziert: 25.10.2012 um 20:59 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 16:49 Uhr
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Der Schädel in der Hand der Wissenschaftlerin ist «sehr wahrscheinlich» der von Jörg Jenatsch.
Foto: zvg
Von Philippe Pfister

Es muss eine wüste und blutige Szene gewesen sein, die sich am Abend des 21. Januar 1639 im Staubigen Hüetli, einem Churer Gasthaus, abspielte. Auf Jörg Jenatsch, der bei einem Fasnachtsgelage ordentlich am ­Bechern war, stürzte sich eine Gruppe Maskierter. Ein Schuss fiel. Dann streckten die Verschwörer den mächtigsten Mann Graubündens mit Knüppeln und Äxten nieder.

Tags darauf wurde er in der Kathedrale aufwendig beigesetzt – die Nachwelt machte aus dem machtbesessenen und bisweilen grausamen Pfarrerssohn einen Freiheitshelden, weil er im Dreissigjährigen Krieg als Heerführer die Franzosen aus dem Land vertrieben hatte.

1959 – 320 Jahre nach dem blutigen Überfall – exhumierte der Zürcher Anthropologe Erik Hug erstmals den mutmasslichen Leichnam. Eindeutig zuweisen konnte er seinen Fund nicht. Seine Dokumentation verschwand im Kloster Einsiedeln SZ und ging vergessen. Hug starb 1991.

2009 stiess Manuel Janosa vom Archäologischen Dienst Graubünden auf Hugs Nachlass – es war der Startschuss für die zweite Ausgrabung im letzten März. Wissenschaftler um den Evolutionsmediziner Frank Rühli von der Universität Zürich erstellten aus Proben eines Oberschenkelknochens und ­eines Backenzahns ein DNA-Profil des Toten. Das verglichen sie mit Profilen von drei lebenden Nachfahren von Jenatsch.

Die Forscher fanden zwar klare Übereinstimmungen. Eindeutig sind die Ergebnisse indes nicht. «Der genetische Fingerprint des Skeletts konnte die Identität von Jörg Jenatsch nicht beweisen», sagt Rühli.

Weitere Indizien stützen jedoch die These, dass es sich beim Fund tatsächlich um ­Jenatsch handelt:

- Das Skelett gehörte einem erwachsenen, 40- bis 60-jährigen Mann – ­Jenatsch wurde 43.

- Die entdeckten Schädelfrakturen müssen tödlich gewesen sein – Jenatsch starb unter Axt- oder Knüppelhieben.

- Der Tote trug ein seidenbesticktes Hemd, eine elegante Hose, einen pelzgefütterten Mantel. Kleider, die sich im 17. Jahrhundert nur die Reichsten leisten konnten. Jenatsch hatte massenhaft Geld.

- Eine zeitgenössische Quelle weist auf den Ort des Grabes hin: unter der Orgel in der Churer Kathedrale. Dort, wo man das Skelett ausgrub.

Jenatsch-Experte Janosa ist überzeugt, dass er – wie schon Hug – mit «grosser Wahrscheinlichkeit» den Freiheitshelden ausgegraben hat. Doch der weigert sich standhaft, alle Geheimnisse preiszugeben – und gibt den Forschern neue Rätsel auf.

So war geplant, das Gesicht des Toten anhand von dreidimensionalen Schädelscans zu rekonstruieren – um die Bilder mit Porträts von Jenatsch zu vergleichen. Janosa glaubte, in Paris ein zeitgenössisches Gemälde zu finden, das bis 1935 als Leihgabe im Rätischen Museum hing. Doch in Paris fand er ein anderes Bild – das Original ist verschollen.

Lässt sich das Geheimnis überhaupt je lüften? «Vielleicht», sagt Rühli. Aber nur mit noch ausgefeilteren Methoden. Verfügbar sind die, wenn überhaupt, erst in 20, vielleicht erst in 50 Jahren.

Nötig wäre freilich auch eine dritte Graböffnung. Armer Jenatsch!

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