Die Trauer auf den Strassen von Kestenholz SO ist förmlich spürbar. In der 1750-Einwohner-Gemeinde hat sich schnell herumgesprochen, dass Ramon B. (41) und Gisela N. (46) unter den Vermissten des verheerenden Bergsturzes in Bondo GR sind.
Eine Anwohnerin sagt zu BLICK: «Es ist so tragisch, beide hatten sich erst kürzlich verlobt. Im Klubhaus des Vogelschutzvereins.» Das Paar hatte sich gesucht und gefunden. Vor einem Jahr war Gisela N. von Matzendorf SO zu ihrem Freund Ramon nach Kestenholz gezogen. Die beiden teilten die gleichen Leidenschaften: Wandern, Berge, die Natur.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
In der Frauengemeinschaft Matzendorf keimt noch Hoffnung. Vorstandsmitglied Franziska Steiger: «Wie haben Angst um sie und hoffen sehr, dass sie doch noch gefunden wird. Gisela hat sich in viele Vereine eingebracht und grosses Engagement gezeigt, nicht nur bei uns in der Frauengemeinschaft.» Auch im Kirchenchor singt sie als Altistin.
Auch Ramon B. ist in Kestenholz bekannt und beliebt. Er amtete im Vorstand des lokalen Natur- und Vogelschutzvereins. Im Restaurant hat man ihn als «flotten Kerl» in Erinnerung. Ein Gast weiss: «Er sagte noch, dass er mit Gisela nach Graubünden zum Wandern geht. Er wurde wohl in einer Hütte erwartet, kam dort aber nicht mehr an.»
In der Sciora-Hütte bewirteten Reto (51) und Barbara Salis (44) die Vermissten. Noch am Abend vor dem massiven Bergrutsch habe man zusammen gesessen. In grosser Runde: vier Deutsche aus Baden-Württemberg, zwei Österreicher und die beiden Solothurner. Minestrone, Reis und Fleischbällchen werden aufgetischt. «Es hat allen geschmeckt. Die Stimmung war sehr herzlich und heiter», sagt die Hüttenwartin.
Ziel ist die nächste Hütte
Am nächsten Tag wollen Ramon und Gisela weiter zur nächsten Hütte – der Sasc Furä. Die anderen, darunter ein Vater mit seiner 20-jährigen Tochter, sind auf dem Heimweg. «Dass wir womöglich die Letzten waren, die diese Gruppe lebend gesehen haben, bricht mir das Herz», sagt Reto Salis leise. Beim Abschied versprechen die Gäste noch: «Wir kommen wieder!» Nur eine Stunde später überrollt eine Schlamm- und Gesteinslawine das Bondascatal und den Wanderweg.
Dabei gilt der Weg zur Hütte seit 2011, als sich schon einmal 1,5 Millionen Kubikmeter Fels lösten, als gefährlich. «Wir warnen jeden Wanderer», sagt Barbara Salis. Schon am Dienstag gibt es Vorzeichen für eine Katastrophe. «Es hatte sich an dem Nachmittag ein kleineres Felsstück gelöst, und die Alp lag im Staubdunst», erinnert sich Barbara Salis.
Die Gäste bemerken schon am Vortag erste Erschütterungen
Die acht Wanderer waren trotzdem gut gelaunt. «Sie hatten eine schöne Wanderung hinter sich», sagt Barbara weiter. Aber sie hätten ihr auch gesagt: «Es rumpelt hier ja ganz schön.»
Dann am Mittwochvormittag das grosse Drama. Das Hüttenwartspaar wird erst am Donnerstagabend aus dem Tal geflogen: «Vom Heli aus sahen wir zum ersten Mal das ganze Ausmass der Katastrophe. Uns packte eine tiefe Traurigkeit.» Reto Salis hat wenig Hoffnung: «Angesichts der Steinlawine wurde uns klar, die Wanderer können nicht überlebt haben. Sie liegen höchstwahrscheinlich unter 10 bis 15 Metern Geröll.»
Das Paar weiss nicht, ob es jemals wieder auf die Hütten kann. Barbara Salis stockt die Stimme: «Uns ist bewusst, dass der Hüttenbetrieb ernsthaft gefährdet ist. Dabei ist es meine zweite Heimat.» Ihr ist klar: «Das Bondascatal wird nie mehr wieder so sein, wie es war.»
In Kestenholz SO wurde gestern Abend die Serenade abgesagt. Die Gedanken sind zurzeit woanders.
* Namen der Redaktion bekannt