Berner Uni-Prof kritisiert Schweiz
«Auf uns kann die EU verzichten»

Der Berner Uni-Professor Klaus Armingeon kritisiert die Schweiz und deren Umgang mit der EU. Er sagt, dass in Bern seit zehn Jahren keine klare Strategie entwickelt worden sei.
Publiziert: 02.12.2018 um 23:07 Uhr
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Aktualisiert: 03.12.2018 um 13:45 Uhr
Der Berner Uni-Prof Klaus Armingeon kritisiert die Schweizer EU-Strategie.
Foto: Annette Boutellier

Klaus Armingeon, Professor für Europapolitik an der Universität Bern, findet deutliche Worte für die Schweiz und deren Verhältnis zur EU in Sachen Rahmenabkommen: Seit zehn Jahren habe Bern keine klare Strategie entwickelt.

Die EU stelle ihre Forderungen seit zehn Jahren, und diese seien aus der Position der EU «verständlich und auch angemessen», sagte Armingeon gegenüber dem Schweizer Radio SRF im «Echo der Zeit» vom Sonntag.

«Keine klare Strategie entwickelt»

Armingeon ist der Auffassung, «dass man in Bern zu lange gewartet hat, keine klare Strategie entwickelt hat und als man unter Zeitdruck kam, die Gewerkschaften düpiert hat, die darauf verständlicherweise mit einem Stopp reagiert haben». Der Professor für Europapolitik lokalisiert das Problem denn auch in der Schweiz: «Die Schweiz hat zu lange versucht, die Probleme auszusitzen.»

Der bilaterale Weg sei nicht so erfolgreich, wie es in der Schweiz oft heisst. Armingeon verweist auf «ein zweifaches Unbehagen», welches seitens der EU gegenüber dem bilateralen Weg bestehe: Die Abkommen müssten regelmässig aufdatiert werden, was in einer Gemeinschaft mit derzeit 28 Mitgliedsstaaten «enorm aufwändig» sei, so Armingeon.

Effizienter in die Zukunft

Zudem sei nicht geregelt, welche Verfahren zur Streitschlichtung zur Anwendung kämen. «Diese offenen Fragen schleppen wir mit uns herum, seit wir die bilateralen Verträge haben, und dafür brachen wir nun einen Rahmen.» Die Union sei nicht mehr bereit, so ineffizient weiterzumachen, wie bisher.

Darüber hinaus übersehe die Schweiz die realen Machtverhältnisse, sagt der Professor und verweist darauf, dass die Schweiz über die Hälfte ihres Aussenhandels mit der EU erwirtschaftet, während die EU mit der Schweiz auf rund 6 bis 8 Prozent kommt: «Auf uns kann die EU verzichten; wir können nicht auf die EU verzichten.» (SDA)

Darum geht es beim Rahmenabkommen

Das Dossier liegt seit Jahren auf dem Tisch – und ist mittlerweile ein tonnenschwerer Papierstapel. Für alle, die die Übersicht verloren haben, macht BLICK die Auslegeordnung im EU-Poker:

Der Bundesrat will den bilateralen Weg weitergehen und neue Abkommen schliessen, die unserer Wirtschaft den Zugang zum EU-Markt erleichtern. Er hat zugestimmt, ein Rahmenabkommen zu verhandeln. Das – geheime – Mandat wurde im Mai 2014 verabschiedet.

Doch es war Brüssel, das ein Rahmenabkommen verlangt hat. Es hat genug von der «Rosinenpickerei» der Schweiz und fordert: Wenn ihr neue Abkommen wollt, dann müssen wir sicherstellen, dass ihr Änderungen des EU-Rechts in den bislang 120 Verträgen mit übernehmt. Es soll nicht bei jedem Abkommen nachverhandelt werden, sondern das soll automatisch passieren.

Das Rahmenabkommen soll die bilateralen Verträge in einen Rahmen einbetten. Dieser regelt:

  • Wie Abkommen angepasst werden, wenn sich das EU-Recht entwickelt.
  • Wer überwacht, dass beide Seiten die Abkommen richtig anwenden.
  • Wie wird sichergestellt, dass beide Seiten die Abkommen gleich auslegen.
  • Wer richtet, wenn es Streit über diese Fragen gibt.

Umstritten ist vor allem der letzte Punkt. In der Schweiz will man nicht, dass EU-Richter, also «fremde Richter» Streitfragen entscheiden. Doch dem Vernehmen nach hat man sich auf eine Lösung geeinigt, mit der die EU leben kann, und von der der Bundesrat überzeugt ist, die Schweizer Stimmbürger überzeugen zu können.

Der Bundesrat hat rote Linien für die Verhandlungen definiert. Das sind sie:

  • Die Schweiz wird die EU-Bürgerschaftsrichtlinie nicht übernehmen. Diese würde EU-Bürgern ein Niederlassungsrecht in der Schweiz und damit uneingeschränkten Zugang zur Sozialhilfe geben.
  • Auch über die flankierenden Massnahmen – den Schutz der hohen Schweizer Löhne – verhandelt die Schweiz nicht. Das hatte der Bundesrat im Sommer nochmals bestätigt, nachdem Aussenminister Ignazio Cassis (57) mit der Idee, sie doch als Verhandlungsmasse einzubringen, vorgeprescht war.

Das Rahmenabkomen ist wichtig, weil es ohne dieses keine neuen Verträge gibt, die Schweizer Unternehmen Zugang zum EU-Markt geben. Darauf drängt vor allem der Finanzplatz. Bis heute müssen unsere Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter eine Filiale in der EU haben, wenn sie mit dortigen Kunden geschäften wollen. Diese Hürde würde wegfallen.

Seit 2013 nimmt die Nettozuwanderung von Personen aus den EU/Efta-Staaten fortlaufend ab. (Symbolbild)
Seit 2013 nimmt die Nettozuwanderung von Personen aus den EU/Efta-Staaten fortlaufend ab. (Symbolbild)
KEYSTONE/GAETAN BALLY

Das Dossier liegt seit Jahren auf dem Tisch – und ist mittlerweile ein tonnenschwerer Papierstapel. Für alle, die die Übersicht verloren haben, macht BLICK die Auslegeordnung im EU-Poker:

Der Bundesrat will den bilateralen Weg weitergehen und neue Abkommen schliessen, die unserer Wirtschaft den Zugang zum EU-Markt erleichtern. Er hat zugestimmt, ein Rahmenabkommen zu verhandeln. Das – geheime – Mandat wurde im Mai 2014 verabschiedet.

Doch es war Brüssel, das ein Rahmenabkommen verlangt hat. Es hat genug von der «Rosinenpickerei» der Schweiz und fordert: Wenn ihr neue Abkommen wollt, dann müssen wir sicherstellen, dass ihr Änderungen des EU-Rechts in den bislang 120 Verträgen mit übernehmt. Es soll nicht bei jedem Abkommen nachverhandelt werden, sondern das soll automatisch passieren.

Das Rahmenabkommen soll die bilateralen Verträge in einen Rahmen einbetten. Dieser regelt:

  • Wie Abkommen angepasst werden, wenn sich das EU-Recht entwickelt.
  • Wer überwacht, dass beide Seiten die Abkommen richtig anwenden.
  • Wie wird sichergestellt, dass beide Seiten die Abkommen gleich auslegen.
  • Wer richtet, wenn es Streit über diese Fragen gibt.

Umstritten ist vor allem der letzte Punkt. In der Schweiz will man nicht, dass EU-Richter, also «fremde Richter» Streitfragen entscheiden. Doch dem Vernehmen nach hat man sich auf eine Lösung geeinigt, mit der die EU leben kann, und von der der Bundesrat überzeugt ist, die Schweizer Stimmbürger überzeugen zu können.

Der Bundesrat hat rote Linien für die Verhandlungen definiert. Das sind sie:

  • Die Schweiz wird die EU-Bürgerschaftsrichtlinie nicht übernehmen. Diese würde EU-Bürgern ein Niederlassungsrecht in der Schweiz und damit uneingeschränkten Zugang zur Sozialhilfe geben.
  • Auch über die flankierenden Massnahmen – den Schutz der hohen Schweizer Löhne – verhandelt die Schweiz nicht. Das hatte der Bundesrat im Sommer nochmals bestätigt, nachdem Aussenminister Ignazio Cassis (57) mit der Idee, sie doch als Verhandlungsmasse einzubringen, vorgeprescht war.

Das Rahmenabkomen ist wichtig, weil es ohne dieses keine neuen Verträge gibt, die Schweizer Unternehmen Zugang zum EU-Markt geben. Darauf drängt vor allem der Finanzplatz. Bis heute müssen unsere Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter eine Filiale in der EU haben, wenn sie mit dortigen Kunden geschäften wollen. Diese Hürde würde wegfallen.

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