Thurgau verbannt Französisch aus der Primarschule. Raten Sie mal, wer «schwer enttäuscht» ist…
«C’est une catastrophe!»

Im Thurgau sollen Primarschüler kein Franz mehr büffeln müssen. Das Kantonsparlament hat dies nach einer emotionalen Debatte knapp entschieden. Jetzt wettert die SP, das SVP-Begehren sei «unschweizerisch». Doch ausgerechnet die Romands bleiben gelassen.
Publiziert: 03.05.2017 um 20:08 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 15:57 Uhr
Leidet der Zusammenhalt des Landes, wenn Primarschüler kein Frühfranzösisch lernen? SP-Nationalrat Matthias Aebischer ist überzeugt davon. Welsche Politiker nehmen es gelassener.
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Cinzia Venafro

Er ist mächtig aufgewühlt. «Ich bin wahnsinnig enttäuscht», sagt Bildungspolitiker Matthias Aebischer (S P) zu BLICK und betont: «C’est une catastrophe!»

Mais qu'est-ce qui se passe? Das Thurgauer Kantonsparlament hat am Mittwochmorgen nach einer hoch emotionalen Debatte die Abschaffung des Frühfranzösisch in der Primarschule gutgeheissen. Mit 68 zu 53 Stimmen beschloss der Grosse Rat, sein Volksschulgesetz abzuändern. Künftig sollen sich erst Oberstufenschüler mit den Accents graves und circonflexes (für alle ohne Frühfranzösisch: Das sind zwei Arten von Strichli über den Buchstaben) herumschlagen müssen.

Als «unschweizerisch» tituliert SP-Nationalrat Matthias Aebischer den Thurgauer Kantonsrat.
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Sind die Thurgauer «unschweizerisch?

Dies sei ein «Rückschritt für unser Bildungswesen», kritisiert der Berner Nationalrat Aebischer. Der Kanton Thurgau wende sich damit ab von der Harmonisierung des Schulsystems, «so wie sie unsere Verfassung vorgibt!» Am Ende würden die Schüler darunter leiden. Ein Umzug in einen anderen Kanton würde für sie doppelt schwierig. «Wir steuern nun wieder Richtung Schulwildwuchs.»

Aebischer bemüht sogar patriotische Worte: Zu unserer Identität gehöre es, dass wir «solidarisch sind mit Minderheiten, mit andern Kulturen, mit Randregionen». Die Abschaffung des Französisch in der Primarschule empfinde er darum als «unschweizerisch».

Findet den Entscheid im Thurgau halb so schlimm. «Es eskaliert deswegen jetzt kein Sprachenkrieg zwischen uns und den Deutschschweizern», sagt FDP-Nationalrat Fathi Derder aus der Waadt.
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Die Romands finden es halb so schlimm

Ennet des Röstigrabens ist man weit weniger aufgebracht. «Es eskaliert deswegen jetzt kein Sprachenkrieg zwischen uns und den Deutschschweizern», sagt der Waadtländer FDP-Nationalrat Fathi Derder. Er hat sich auch schon einmal über die Unfähigkeit seiner Ratskollegen im Französischen mokiert. So sei der Entscheid im Thurgau «natürlich schade». Er könne aber verstehen, «dass man sich für Englisch als erste Fremdsprache in der Unterstufe entscheidet.»

Eines aber dürfe «niemals» angefasst werden, betont Derder: den «heiligen Gral» des helvetischen Fremdsprachenunterrichts, die Französischlektionen in der Oberstufe. 

Diesen will nicht mal die Mutter der thurgauischen Frühfranzösisch-Abschaffung anfassen. SVP-Nationalrätin Verena Herzog hatte 2006 (damals noch als Kantonsrätin) ohne Erfolg die Initiative «nur eine Fremdsprache in der Primarschule» lanciert. Den jetzt gutgeheissenen Vorstoss hatte sie miteingereicht. 

Für die Mutter der thurgauischen Frühfranzösisch-Abschaffung ist heute ein «Glückstag!».
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«Das Haushaltsjahr muss wieder gefördert werden»

«In der Oberstufe können die Schüler viel effizienter Französisch lernen», sagt Herzog. Und sie betont, dass sie überhaupt nichts gegen die Sprache Molières habe. «Für den Zusammenhalt unseres Landes müssen wir miteinander sprechen können.» Sie erinnert an das «Welschjahr für Deutschschweizer», das einst fast Pflicht gewesen sei. «Meine Schwestern machten beide ein Haushaltsjahr. Das muss heute unbedingt wieder gefördert werden.»

Und die Bürgerliche wirft das Sexismusargument in den Sprachenstreit: «Mit dem jetzigen Schulsystem, in dem die Sprachen eine solche Gewichtung haben, werden die Buben benachteiligt», sagt sie. «Wir sehen das im Thurgau, tendenziell bestehen mehr Mädchen die Kantiprüfung.» Sie habe das auch zu Hause erlebt. «Meine Töchter waren gut in den Sprachen, mein Sohn mühte sich am Französisch ab.»

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