Parteichefs kriegen sich wegen Brüssel in die Haare
Rösti will Levrat ausweisen

Brüssel verschärft den Ton, und schon eskaliert der Krach unter den Schweizer Parteichefs: Rösti (SVP) fordert Levrat (SP) sogar auf, das Land zu verlassen. Er sei in einem EU-Mitgliedsstaat besser aufgehoben.
Publiziert: 30.12.2017 um 23:56 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 02:10 Uhr
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Möchte, dass SP-Chef Christian Levrat die Schweiz Richtung EU verlässt. SVP-Präsident Albert Rösti.
Foto: Sabine Wunderlin
Marcel Odermatt

Sie stand unangefochten an der Spitze der Eidgenossenschaft – und nun endet das Jahr für Doris Leuthard (54, CVP) im Fiasko.

Weil es mit dem sogenannten Rahmenabkommen nicht vorwärtsgeht, greift Brüssel zu Strafmassnahmen. Anders als der Wertpapierhandel mit Hongkong, Australien oder den USA wird der hiesige nur befristet mit den EU-Börsen gleich behandelt. Eine Verlängerung über zwölf Monate hinaus soll davon abhängig sein, ob es die von Juncker und Co. verlangten Fortschritte gibt.

Also steht die Schweiz 2018 vor einem Berg von europapolitischen Herausforderungen. Auf Hilfe aus dem Parlament können Leuthard, Aussenminister Ignazio Cassis (56, FDP) und der neue Bundespräsident Alain Berset (45, SP) dabei nicht hoffen. Bei den Präsidenten der vier Bundesratspar­teien herrscht nämlich nur in einem Punkt Einigkeit: dass sie völlig zerstritten sind.
SonntagsBlick fragte bei den Parteien nach, wie sich die Schweiz 2018 verhalten soll, um die grösste politische Baustelle im Verhältnis zur Europäischen Union zu beseitigen.

Die Genossen plädieren dafür, dass Cassis rasch ein Rahmenabkommen aushandelt. Die CVP will – wohl auch im Gegensatz zu ihrer eigenen Bundesrätin – unter keinen Umständen ein Rahmenabkommen akzeptieren, das fremde Richter vorsieht. Die FDP kritisiert die «Selbstprofilierung von Konservativen und Sozialisten» beim Thema EU, und die SVP, ja, die Rechtspartei verlangt, der Bundesrat möge den europäischen Nachbarn mitteilen, dass die Eidgenossenschaft «nie einen solchen Kolonialvertrag abschliessen wird».
Bis auf weiteres herrschen punkto Europapolitik in Bern grosse Konfusion und gegenseitige Schuldzuweisungen. Und wer sich eines Tages in diesem Chaos durchsetzen wird, bleibt völlig unabsehbar.

Volksabstimmung als Hoffnungsschimmer

Als wäre die Lage nicht schon schwierig genug, eskaliert jetzt auch noch ein handfester Krach zwischen den Chefs der beiden Polparteien. SP-Präsident Christian Levrat (47) macht Cassis zum Hauptverantwortlichen der Krise. Überhaupt nur dank SVP-Stimmen im Amt, sei der neue Aussenminister seit der Wahl vor zwei Monaten auf Tauchstation – und das Verhältnis mit der EU «schlechter denn je». Cassis müsse das Ruder nun endlich in die Hand nehmen.

SVP-Chef Albert Rösti (50) hält diesen Angriff für völlig deplatziert. Im Gegenzug fordert er den Freiburger Ständerat allen Ernstes auf, die Schweiz zu verlassen. Rösti zu SonntagsBlick: «Am besten geht Levrat selbst in die EU, dann kann er dort so lange umverteilen, bis alle gleich wenig haben. Da darf aber die Schweiz niemals mitmachen.»

Wenn überhaupt, treffe den neuen FDP-Minister die kleinste Schuld am Tiefpunkt der ­Beziehungen zu Brüssel. Rösti: «Levrat lenkt ab von den eigenen, gravierenden, diploma­tischen Fehlern der SP-affinen Chefbeamten im EDA, die das aktuelle Debakel lange vor Cassis’ Antritt angerichtet haben.»

Angesichts dieser innereidgenössischen Kakofonie dürften sich die EU-Funktionäre die Hände reiben. Mit einem solchen Land werden sie wohl auch im kommenden Jahr leichtes Spiel haben. Brüssel erscheint im Augenblick erheblich geeinigter als Bern.
Unter Umständen gibt es aber einen Hoffnungsschimmer: In einem Punkt herrscht nämlich auch hierzulande ­Einigkeit. Im letzten SonntagsBlick verlangte Leuthard eine Volksabstimmung über das Verhältnis zur EU.

Diese Idee wird grund­sätzlich von allen Parteien begrüsst. Rösti will Leuthard nun beim Wort nehmen: «Dass ein Kolonialvertrag mit weitestgehenden Auswirkungen dem obligatorischen Referendum unterstellt wird, haben wir schon immer gefordert und muss selbstverständlich sein.

Also sollen die Stimmbürger liefern, wozu die Politik offensichtlich derzeit ausserstande ist: Einen endgültigen Entscheid, wie es im Verhältnis mit der EU weitergehen soll.

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