SVP startet Initiative gegen Personenfreizügigkeit
«Wir wollen keine 10-Millionen-Schweiz»

Die SVP beginnt mit der Unterschriftensammlung für ihre Begrenzungsinitiative. Ein Volks-Ja hätte die Kündigung der Bilateralen I zur Folge. Europarechts-Experte Thomas Cottier glaubt gar, die Schweiz könnte dann überhaupt keine Freihandelsabkommen mehr unterzeichnen.
Publiziert: 16.01.2018 um 16:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 15:47 Uhr
SVP startet Initiative gegen Personenfreizügigkeit
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Albert Rösti nimmt Stellung:SVP startet Initiative gegen Personenfreizügigkeit
Nico Menzato

Die Volksinitiative «Für eine massvolle Zuwanderung» ist lanciert. Heute haben SVP-Vertreter den Startschuss zur Unterschriftensammlung für die Begrenzungs-Initiative geben. 

Nachdem die Volkspartei lange mit der Lancierung gedroht hatte, geht sie jetzt aufs Ganze. Die entscheidende Stelle steht in der Übergangsbestimmung: Gelingt eine Ausserkraftsetzung des Personenfreizügigkeitsabkommens nicht auf dem Verhandlungsweg und zwar innert zwölf Monaten, «kündigt der Bundesrat das Abkommen».

Eindeutiger Text lässt keine Zweifel offen

War die vom Volk angenommene Masseneinwanderungs-Initiative noch schwammig formiert, lässt die Blocher-Partei mit der weitaus radikaleren Neuauflage keine Zweifel an der Absicht offen. «Die Personenfreizügigkeit ist hier zum ersten Mal ausdrücklich angesprochen und auch das Ziel, sie los zu werden», sagt Europarechts-Professorin Christa Tobler (56). Rechtlich mache es keinen Unterschied, wenn etwas in den Übergangsbestimmungen stehe statt im eigentlichen Initiativtext.

Thomas Cottier ergänzt, der festgelegte Verhandlungszeitraum sei mit zwölf Monaten so eng, dass dieser toter Buchstabe bleibe. Zudem betrifft die Initiative laut dem emeritierten Professor für Europarecht nicht nur die Personenfreizügigkeit mit der EU. «Der Text der Initiative verbietet im Ergebnis den Abschluss neuer Freihandelsabkommen weltweit, da all diese Abkommen heute Elemente einer Personenfreizügigkeit aufweisen.»

«Kein Angriff auf die Bilateralen»

Die SP lobt die Ehrlichkeit ihrer Erzfeindin SVP: Immerhin kämpfe diese jetzt mit offenem Visier. Die Initiative erlaube es dem Stimmvolk, direkt über die Beziehung der Schweiz zur EU abzustimmen.

SVP-Chef Albert Rösti (50) widerspricht: «Die Initiative ist kein Angriff auf die Bilateralen». Im schlechtesten Fall könnten neben der Personenfreizügigkeit sechs weitere Verträge des Pakets Bilaterale I wegfallen, es gebe aber mehr als hundert Verträge mit der EU.

Rösti kritisierte die Personenfreizügigkeit vor allem aus wirtschaftlicher Sicht. Es sei ein Märchen, dass die Zuwanderung der Schweiz mehr Wohlstand bringe, so der Berner. Die Zunahme der Wirtschaftsleistung pro Kopf betrage seit Einführung der Personenfreizügigkeit im Jahr 2006 praktisch null. Dafür würden die Kosten für jeden Einzelnen ständig steigen.

«Kuchen wird grösser, Stück bleiben bestenfalls gleich gross»

«Der Kuchen wird wegen der Zuwanderung zwar grösser, aber die Stücke für jeden Einzelnen bleiben im besten Fall gleich gross», so Rösti. Doch auch das ausländerfeindliche SVP-Klientel sprach Rösti ganz direkt an: «Wir wollen keine 10-Millionen-Schweiz. Mit Migranten, die unsere Kultur völlig verändern.»

Die SVP wird ihre neuerliche Zuwanderungs-Initiative wohl im Sommer 2019 einreichen – kurz vor den Wahlen. Das Volk wird frühestens 2021 darüber abstimmen können. Ob das Begehren dann eine Chance haben wird, ist derzeit kaum abzuschätzen. Die Zuwanderung vor allem aus dem EU-Raum ist seit Jahren rückläufig. 

Wie stark engagieren sich Wirtschaftsverbände?

Bei den Wirtschaftsverbänden läuten bereits alle Alarmglocken. Nach der Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative im Februar 2014 mussten diese Kritik einstecken, sie hätten zu wenig im Kampf gegen das Begehren unternommen. Ob sie die Begrenzungs-Initiative dereinst mit aller Konsequenz bekämpfen werden, lassen sie jedoch noch offen.

«Der bilaterale Weg inklusive der Personenfreizügigkeit ist wichtig», sagt der sonst so scharfzüngige Gewerbeverbands-Direktor Hans-Ulrich Bigler (59) einzig.

«Wir nehmen die Initiative ernst, da sie sehr schädlich ist», sagt Jan Atteslander (54), Leiter Aussenwirtschaft beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Statt mit einer Radikallösung den Fortbestand der Bilateralen I zu riskieren, solle die Schweiz jetzt die vorhandenen Instrumente wie etwa den Inländervorrang und die Fachkräfte-Initiative des Bundes nutzen, um eine angemessene Zuwanderung zu erreichen.

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