FDP-Chefin Petra Gössi mit Kampfansage
«Wir wollen die SP überholen!»

Bei den Wahlen 2019 will FDP-Chefin Petra Gössi (42) mit profilierten FDP-Köpfen die Mitte-links-Mehrheit im Ständerat kippen. Die Verhandlungen für ein EU-Rahmenabkommen will Gössi notfalls sistieren.
Publiziert: 16.07.2018 um 03:55 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 17:56 Uhr
Ruedi Studer

FDP-Chefin Petra Gössi (42) weilt nur für einen kurzen Zwischenstopp in Zürich, als sie BLICK in ihrem Büro empfängt. Zuvor war sie ein paar Tage in Italien, bevor es für eine Woche in die Ferien geht. Sie hat eine gesunde Bräune im Gesicht, obwohl sie noch mit den Folgen einer starken Erkältung kämpft. Beim Gespräch ist ihr davon aber nichts anzumerken.

BLICK: Frau Gössi, haben Sie Höhenangst?
Petra Gössi: Nein, zum Glück nicht. Was mich freut, weil ich viel und gerne in den Bergen unterwegs bin. Weshalb fragen Sie? 

Weil die FDP offenbar zu einem Höhenflug ansetzt, wenn man sich die Entwicklung in den Kantonen anschaut.
Es ist toll, dass es derzeit so gut läuft. Wir dürfen deshalb aber nicht übermütig werden. Erfolg kommt nicht umsonst. Erfolg haben wir nur, weil alle daran mitarbeiten. Aber wir dürfen uns nicht zurücklehnen – der Wind kann rascher drehen, als man denkt.

FDP-Chefin Petra Gössi hat auf Wahlkampfmodus umgestellt. «Wir wollen unsere Vision für die Zukunft der Schweiz aufzeigen. Im Zentrum stehen unsere Heimat und das Gefühl der Sicherheit, das sich ergibt, wenn man eine Heimat hat», sagt sie.
Foto: Anja Wurm
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2015 erreichte die FDP im Steigflug 16,4 Prozent Wähleranteil. Welche Flughöhe peilen Sie 2019 an?
Wir wollen prozentual weiter zulegen. 

Nennen Sie eine konkrete Zahl!
Eine genaue Zahl ist unwichtig. Entscheidend ist, dass wir erneut zulegen. Vor allem wollen wir die SP überholen! Dumm ist nur, dass es der SP momentan auch gut läuft (lacht).

SP-Chef Christian Levrat macht bereits eine Kampfansage: Er will die rechte Mehrheit aus SVP und FDP im Nationalrat brechen.
Das werden wir verhindern! Wir wollen unsere Sitze nicht nur halten, sondern ausbauen. Wichtig ist auch, dass wir zusammen mit der SVP die Mitte-links-Mehrheit von CVP und SP im Ständerat durchbrechen können. Aber am Ende des Tages ist unser Ziel, dass wir unsere Politik und unsere Forderungen durchbringen. Dazu brauchen wir Mehrheiten in beiden Kammern. Mit wem wir diese Mehrheiten erreichen, ist zweitrangig.

FDP und SVP kommen im Ständerat nur auf 19 Sitze. Für eine absolute Mehrheit bräuchten sie 24. Wie wollen Sie das schaffen?
Es wird schwierig, das ist mir bewusst. Die FDP wird aber mit profilierten Köpfen antreten und hat die Chance, zwei, drei Sitze zuzulegen. Potenzial haben wir etwa in den Kantonen Genf, Wallis und Schwyz.

Privat taucht sie gern

Petra Gössi (42) ist erst seit 2011 Nationalrätin – und löste vor zwei Jahren Philipp Müller (65) als Chef der FDP ab. Die Schwyzerin hat sich seither von der Steuerexpertin zur Allrounderin weiterentwickelt. Gössi arbeitet als Rechts-, Steuer- und Unternehmensberaterin bei der Baryon AG in Zürich. Anders als in der Politik geht sie in der Freizeit gern und oft tauchen, im Winter ist bei ihr Skifahren hoch im Kurs.

Petra Gössi (42) ist erst seit 2011 Nationalrätin – und löste vor zwei Jahren Philipp Müller (65) als Chef der FDP ab. Die Schwyzerin hat sich seither von der Steuerexpertin zur Allrounderin weiterentwickelt. Gössi arbeitet als Rechts-, Steuer- und Unternehmensberaterin bei der Baryon AG in Zürich. Anders als in der Politik geht sie in der Freizeit gern und oft tauchen, im Winter ist bei ihr Skifahren hoch im Kurs.

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In Ihrem Heimatkanton könnte es eine Vakanz geben. Treten Sie als Ständeratskandidatin an?
Nein. Ich werde wieder für den Nationalrat kandidieren.

Im Nationalrat hält die FDP 33 Mandate. Um wie viel wollen Sie da zulegen?
Etwa zwei Sitze mehr liegen durchaus drin.

Und mit welchen Rezepten wollen Sie den Wahlsieg schaffen?
Wir sind im Unterschied zur SP oder SVP als lösungsorientierte Partei die Kraft der Zukunft. «Gemeinsam weiterkommen» lautet unser Motto. Wir wollen unsere Vision für die Zukunft der Schweiz aufzeigen. Im Zentrum stehen unsere Heimat und das Gefühl der Sicherheit, das sich ergibt, wenn man eine Heimat hat.

Heimat? Das ist doch ein abgelutschter Modebegriff.
Nein, im Gegenteil: Heimat ist ein zeitloser Begriff. Wir wollen der Bevölkerung aufzeigen, was wir unter Heimat verstehen: Stabilität, Sicherheit, Fleiss, Innovation und Risikobereitschaft. Dafür steht etwa unser flexibler Arbeitsmarkt. Zu unserem Heimatbegriff gehören aber auch Demut, Bescheidenheit und Gewissenhaftigkeit.

Das tönt nach einer Musterschüler-Schweiz ohne Lustprinzip.
Nein, gar nicht. Zur Risikobereitschaft gehört ja, auch mal etwas zu wagen – und mal in eine Wand zu laufen. Aber auch, wieder aufzustehen und weiterzumachen.

Eine Rütlischwur-Schweiz à la SVP wollen Sie nicht?
Nein, aber Traditionen sind auch uns wichtig. Der Wille zum Fortschritt ist beispielsweise eine Tradition der FDP. Tradition bedeutet nicht einfach nur bewahren, sondern auch übermitteln und weiterführen. Genau das wollen wir.

Mit welchen Themen wollen Sie im Wahljahr Akzente setzen?
Die Digitalisierung begleitet uns alle im Alltag und ist auch Teil unserer Vision. Ich verstehe sehr gut, dass Digitalisierung als Schlagwort in der Bevölkerung viele Ängste auslöst. Diese Ängste nehmen wir einerseits sehr ernst, anderseits zeigen wir aber auch die Chancen der Digitalisierung auf. Zudem werden wir unsere Ideen für nachhaltige Reformen in der Gesundheitspolitik präsentieren. Gerade in Bezug auf die Kostensteigerung im Gesundheitswesen drückt die Bevölkerung der Schuh besonders.

Und Europa?
Das ist sowieso gesetzt, da mit der Selbstbestimmungs-Initiative und dem Waffenrecht zwei europapolitische Vorlagen zur Abstimmung kommen werden. Je nach Entwicklung wird uns auch das EU-Rahmenabkommen beschäftigen.

Ob das überhaupt ein Thema wird, hängt massgeblich von Ihren Bundesräten Ignazio Cassis und Johann Schneider-Ammann ab. Diese sind drauf und dran, das Abkommen an die Wand zu fahren.
Nein, das stimmt doch nicht! Erstmals zeigt der Bundesrat auf, dass ein Rahmenabkommen nicht zu jedem Preis eingegangen werden soll. Diese Einschätzung begrüsse ich sehr.

Aber die Wirtschaft pocht doch auf ein Abkommen und damit auf Rechtssicherheit. Die FDP kann das nicht ignorieren.
Ein Rahmenabkommen kann nur abgeschlossen werden, wenn der Inhalt stimmt. Darum lautet unsere Devise weiterhin: Inhalt vor Zeit! Wenn die EU zum Beispiel die Lohnschutzmassnahmen massiv ausbauen möchte, wäre der Preis für unsere Wirtschaft zu hoch.

Im Moment ist das Umgekehrte der Fall: Die Schweiz soll den Lohnschutz aufweichen. Und Ihre FDP-Bundesräte stellen den Lohnschutz in Frage.
Nein, das Lohnschutzniveau stellen sie in keiner Weise in Frage. Das haben sie auch immer wieder bestätigt. Man muss aber diskutieren dürfen, ob das Niveau mit anderen Instrumenten als etwa der Acht-Tage-Regel gehalten werden kann. Da erwarte ich auch von den Gewerkschaften Gesprächsbereitschaft. Ich verstehe, dass die Gewerkschaften keine Abschwächung des Lohnschutzes wollen. Das will ich auch nicht! Aber ihre Totalopposition geht zu weit. Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass die Gewerkschaften an den Kontrollen kräftig mitverdienen. 

Und wenn sich kein innenpolitischer Konsens findet, ist das Abkommen tot?
Der Entscheid fällt im Herbst. Wenn wir keine Lösung finden, muss der Bundesrat die Verhandlungen sistieren. Denn er darf kein Abkommen abschliessen, das im Parlament und vor dem Volk von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Entspricht das Abkommen nicht unseren klar definierten Forderungen und roten Linien, wozu auch die flankierenden Massnahmen gehören, machen nämlich auch wir nicht mit. 

Allenfalls wird auch die AHV zum Wahlkampfthema. Nach den Sommerferien kommt der Steuer-AHV-Deal in den Nationalrat, der die neue Unternehmenssteuerreform und die AHV-Finanzierung miteinander verknüpft. Trägt die FDP den Deal nun mit?
Ja, im Grundsatz schon. In beiden Bereichen brauchen wir dringend eine Lösung. Es wird aber noch viele Diskussionen geben, bis das Geschäft durchs Parlament ist. Wir werden zum Beispiel noch abwägen, ob die Verknüpfung der beiden Geschäfte sinnvoll ist oder ob sie separat behandelt werden sollen. Und auch bei der AHV-Finanzierung müssen wir nochmals über die Bücher.

Inwiefern? Folgen Sie dem Diktat des Arbeitgeberverbandes, der keine Lohnprozente für die AHV aufwerfen will, sondern mehr Bundesgeld?
Wir folgen keinem Diktat! Die Lohnprozente ganz zu streichen, ist keine Lösung. Aber vielleicht braucht es eine Mischform aus Lohnprozenten, Mehrwertsteuer und Bundesgeldern. Denn wir benötigen für die Reform der beruflichen Vorsorge ebenfalls Spielraum bei den Lohnprozenten.

Die SVP verlangt, dass das höhere Frauenrentenalter 65 in den Deal gepackt wird. Machen Sie da mit?
Nein. Das Rentenalter 65 für Mann und Frau muss zwar kommen, aber nicht in dieser Vorlage! Das Rentenalter müssen wir in der neu aufgegleisten AHV-Reform anpacken. Dort hat auch eine soziale Abfederung der Erhöhung des Frauenrentenalters Platz. Wichtiger Bestandteil der Reform ist auch die Flexibilisierung des Rentenalters. Der Reformdruck innerhalb der AHV besteht also unabhängig von den Verhandlungen zur Steuervorlage.

Für die soziale Abfederung schlägt der Bundesrat Varianten mit 400 und 800 Millionen Franken vor. Wie viel sind Sie zu geben bereit?
Wir bieten Hand für eine soziale Abfederung, aber 800 Millionen sind klar zu viel. Für die FDP kommt eher eine Variante in Frage, die 400 Millionen kostet. Es geht bei dieser Reform um die langfristige Sicherung der AHV, deshalb müssen wir vernünftig bleiben. Schliesslich sollen auch zukünftige Generationen noch von diesem wichtigen Sozialwerk profitieren können.

Nachdem die Mitte-links-Rentenreform letztes Jahr an der Urne gescheitert ist, findet sich nun ein bürgerlicher Kompromiss?
Wenn sich die CVP auf uns zubewegt, dann schon. Ich vermisse bisher aber die Kompromissbereitschaft der CVP. Wenn sich das nicht ändert, droht die Blockade. Das wäre gefährlich für die AHV.

Und die SP ist in dieser Frage sowieso aussen vor, weil sie das höhere Frauenrentenalter nun bekämpft?
Beim Frauenrentenalter ist die SP wenig lösungsorientiert unterwegs. Mit ihrer Verweigerungshaltung gefährdet sie die AHV und verrät ihre eigenen Werte.

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