Bundesrat drückt sich um Entscheid zu Rahmenvertrag
Berset will alles auf den Tisch legen

Am Freitag beugt sich der Bundesrat über das Rahmenabkommen mit der EU. BLICK weiss: Der Vertrag soll veröffentlicht werden.
Publiziert: 05.12.2018 um 00:58 Uhr
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Aktualisiert: 05.12.2018 um 11:06 Uhr
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Aussenminister Ignazio Cassis hält am Rahmenabkommen fest.
Foto: Keystone
Pascal Tischhauser

Am Freitag berät der Bundesrat noch einmal übers Rahmenabkommen mit der EU. Die Landesregierung wird dem Abkommen aber nicht zustimmen. Laut BLICK-Informationen sind nur noch Aussenminister Ignazio Cassis (57, FDP) und die scheidende Infrastrukturministerin Doris Leuthard (55, CVP) für den Vertrag.

Die Regierungsmehrheit wird stattdessen dafür sorgen, dass der mit Brüssel ausgehandelte Vertragstext veröffentlicht wird. So soll ein Abgleich mit dem Verhandlungsmandat ermöglicht werden. Damit wird nicht nur für alle ersichtlich sein, was der exakte Inhalt des Abkommens mit Brüssel ist, sondern auch, wo die roten Linien übertreten werden. Wie es aus bürgerlichen Kreisen heisst, konnte sich Bundespräsident Alain Berset (46, SP) mit diesem Vorgehen durchsetzen.

Jeder stört sich an etwas anderem

Die Reaktionen auf den ausgehandelten Rahmenvertrag dürften in der Schweiz vernichtend ausfallen. Die einen stören sich an der Unionsbürgerrichtlinie, die nicht explizit ausgeschlossen wird im Abkommen – und zwingend übernommen werden müsste. Damit erhielten EU-Bürger sofortigen Zugang zur Schweizer Sozialhilfe. 

Andere, wie die Kantone, werden sich daran stossen, dass viele Staatsbeihilfen an Kantonalbanken und Wasserwerke nicht mehr möglich sein sollen. Und einzelne Arbeitgeber- und alle Arbeitnehmerorganisationen monieren schon länger den Angriff auf die flankierenden Massnahmen, die beispielsweise vor Lohndumping schützen.

Chefunterhändler Roberto Balzaretti und sein Chef Cassis werden im Kreuzfeuer der Kritik stehen. Weniger Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (66), der zwar den Angriff auf die Flankierenden mitgetragen hat, aber erstens bald aus dem Amt scheidet und zweitens sich doch noch von der jetzigen Rahmenabkommenslösung distanzierte.

Nur Cassis und Maurer wollen bleiben

Während der neu zusammengesetzte Bundesrat wohl mit 6 zu 1 Stimmen gegen das vorliegende Rahmenabkommen wäre, ist ausgerechnet der einzige Magistrat, der noch daran festhält, derjenige des zuständigen Departements.

Und – als Einzigem neben Finanzminister und Bundespräsident 2019, Ueli Maurer (68, SVP) – werden Cassis keine Wechselgelüste nachgesagt, wenn am Freitag die Departementsverteilung im neu zusammengesetzten Bundesrat ansteht.

Cassis soll seinen eigenen Scherbenhaufen wegräumen

Dass mit Cassis derjenige im Aussendepartement (EDA) bleibt, der das Rahmenabkommen in den Augen vieler Parlamentarier an die Wand gefahren hat, finden die einen richtig: Er müsse jetzt auch den Scherbenhaufen zusammenkehren. Andere halten eine frische Kraft an der EDA-Spitze für angebracht, um die Beziehungen mit der EU zu normalisieren.

Darum geht es beim Rahmenabkommen

Das Dossier liegt seit Jahren auf dem Tisch – und ist mittlerweile ein tonnenschwerer Papierstapel. Für alle, die die Übersicht verloren haben, macht BLICK die Auslegeordnung im EU-Poker:

Der Bundesrat will den bilateralen Weg weitergehen und neue Abkommen schliessen, die unserer Wirtschaft den Zugang zum EU-Markt erleichtern. Er hat zugestimmt, ein Rahmenabkommen zu verhandeln. Das – geheime – Mandat wurde im Mai 2014 verabschiedet.

Doch es war Brüssel, das ein Rahmenabkommen verlangt hat. Es hat genug von der «Rosinenpickerei» der Schweiz und fordert: Wenn ihr neue Abkommen wollt, dann müssen wir sicherstellen, dass ihr Änderungen des EU-Rechts in den bislang 120 Verträgen mit übernehmt. Es soll nicht bei jedem Abkommen nachverhandelt werden, sondern das soll automatisch passieren.

Das Rahmenabkommen soll die bilateralen Verträge in einen Rahmen einbetten. Dieser regelt:

  • Wie Abkommen angepasst werden, wenn sich das EU-Recht entwickelt.
  • Wer überwacht, dass beide Seiten die Abkommen richtig anwenden.
  • Wie wird sichergestellt, dass beide Seiten die Abkommen gleich auslegen.
  • Wer richtet, wenn es Streit über diese Fragen gibt.

Umstritten ist vor allem der letzte Punkt. In der Schweiz will man nicht, dass EU-Richter, also «fremde Richter» Streitfragen entscheiden. Doch dem Vernehmen nach hat man sich auf eine Lösung geeinigt, mit der die EU leben kann, und von der der Bundesrat überzeugt ist, die Schweizer Stimmbürger überzeugen zu können.

Der Bundesrat hat rote Linien für die Verhandlungen definiert. Das sind sie:

  • Die Schweiz wird die EU-Bürgerschaftsrichtlinie nicht übernehmen. Diese würde EU-Bürgern ein Niederlassungsrecht in der Schweiz und damit uneingeschränkten Zugang zur Sozialhilfe geben.
  • Auch über die flankierenden Massnahmen – den Schutz der hohen Schweizer Löhne – verhandelt die Schweiz nicht. Das hatte der Bundesrat im Sommer nochmals bestätigt, nachdem Aussenminister Ignazio Cassis (57) mit der Idee, sie doch als Verhandlungsmasse einzubringen, vorgeprescht war.

Das Rahmenabkomen ist wichtig, weil es ohne dieses keine neuen Verträge gibt, die Schweizer Unternehmen Zugang zum EU-Markt geben. Darauf drängt vor allem der Finanzplatz. Bis heute müssen unsere Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter eine Filiale in der EU haben, wenn sie mit dortigen Kunden geschäften wollen. Diese Hürde würde wegfallen.

Seit 2013 nimmt die Nettozuwanderung von Personen aus den EU/Efta-Staaten fortlaufend ab. (Symbolbild)
Seit 2013 nimmt die Nettozuwanderung von Personen aus den EU/Efta-Staaten fortlaufend ab. (Symbolbild)
KEYSTONE/GAETAN BALLY

Das Dossier liegt seit Jahren auf dem Tisch – und ist mittlerweile ein tonnenschwerer Papierstapel. Für alle, die die Übersicht verloren haben, macht BLICK die Auslegeordnung im EU-Poker:

Der Bundesrat will den bilateralen Weg weitergehen und neue Abkommen schliessen, die unserer Wirtschaft den Zugang zum EU-Markt erleichtern. Er hat zugestimmt, ein Rahmenabkommen zu verhandeln. Das – geheime – Mandat wurde im Mai 2014 verabschiedet.

Doch es war Brüssel, das ein Rahmenabkommen verlangt hat. Es hat genug von der «Rosinenpickerei» der Schweiz und fordert: Wenn ihr neue Abkommen wollt, dann müssen wir sicherstellen, dass ihr Änderungen des EU-Rechts in den bislang 120 Verträgen mit übernehmt. Es soll nicht bei jedem Abkommen nachverhandelt werden, sondern das soll automatisch passieren.

Das Rahmenabkommen soll die bilateralen Verträge in einen Rahmen einbetten. Dieser regelt:

  • Wie Abkommen angepasst werden, wenn sich das EU-Recht entwickelt.
  • Wer überwacht, dass beide Seiten die Abkommen richtig anwenden.
  • Wie wird sichergestellt, dass beide Seiten die Abkommen gleich auslegen.
  • Wer richtet, wenn es Streit über diese Fragen gibt.

Umstritten ist vor allem der letzte Punkt. In der Schweiz will man nicht, dass EU-Richter, also «fremde Richter» Streitfragen entscheiden. Doch dem Vernehmen nach hat man sich auf eine Lösung geeinigt, mit der die EU leben kann, und von der der Bundesrat überzeugt ist, die Schweizer Stimmbürger überzeugen zu können.

Der Bundesrat hat rote Linien für die Verhandlungen definiert. Das sind sie:

  • Die Schweiz wird die EU-Bürgerschaftsrichtlinie nicht übernehmen. Diese würde EU-Bürgern ein Niederlassungsrecht in der Schweiz und damit uneingeschränkten Zugang zur Sozialhilfe geben.
  • Auch über die flankierenden Massnahmen – den Schutz der hohen Schweizer Löhne – verhandelt die Schweiz nicht. Das hatte der Bundesrat im Sommer nochmals bestätigt, nachdem Aussenminister Ignazio Cassis (57) mit der Idee, sie doch als Verhandlungsmasse einzubringen, vorgeprescht war.

Das Rahmenabkomen ist wichtig, weil es ohne dieses keine neuen Verträge gibt, die Schweizer Unternehmen Zugang zum EU-Markt geben. Darauf drängt vor allem der Finanzplatz. Bis heute müssen unsere Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter eine Filiale in der EU haben, wenn sie mit dortigen Kunden geschäften wollen. Diese Hürde würde wegfallen.

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