Bei meinem Besuch am WEF musste ich leider wieder einmal feststellen, in welchen Widersprüchen die Schweiz gefangen ist. In Davos glänzen wir vier Tage im Jahr in unserer Rolle als Vermittlerin, in Genf tun wir das sogar das ganze Jahr hindurch. Wir sind die Meister des Multilateralismus, bieten der Welt regelmässig eine Plattform, um auf höchstem Niveau einen Dialog zu führen. Gleichzeitig aber hat die Schweiz grosse Mühe, auch nur ein kleines Stück von diesem Kuchen abzubekommen, den sie für andere gebacken hat.
Am WEF hat sich das wieder gezeigt. Während sich US-Präsident Donald Trump Zeit für ein Treffen mit Alain Berset genommen hat, hatte Emmanuel Macron, immerhin Staatsoberhaupt eines Nachbarlandes und eines bedeutenden Handelspartners, für unsere Bundesräte keine Minute übrig. Platz in seiner Agenda fand sich dagegen für ein 20-minütiges Interview mit dem Westschweizer Fernsehen. Ein irritierendes Signal.
Wenn sich Trump der Schweiz gegenüber offener gibt als Emmanuel Macron, ist es fast schon zu bedauern, dass die Vereinigten Staaten nicht Mitglied der Europäischen Union sind. Apropos EU: Jean-Claude Juncker befand es zwar nicht für nötig, nach Davos zu reisen. Insgesamt waren aber 27 der 28 Mitgliedstaaten mit ranghohen Vertretern vor Ort. Eine EU-Versammlung in der Schweiz – auch irgendwie paradox.
Warum nur schaffen wir es nicht, unser Know-how zu nutzen und mit einer Stimme klar unsere Position darzulegen? Nachdem Brüssel die Schweiz auf eine graue Liste der Steueroasen gesetzt und die Börsenäquivalenz nur befristet erteilt hat, sollte jedem klar sein: Wir kassieren im Streit mit der EU immer häufiger Ohrfeigen.
Fast genau vier Jahre nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative wird es Zeit, das Verhältnis zur EU ohne Umschweife neu anzupacken. Wir sollten nichts überstürzen – wegen des Brexit könnte das fatal enden. Wir dürfen aber auch nicht naiv zu Werke gehen – unsere Nachbarn verteidigen genauso ihre Interessen, sie sind nicht unsere Freunde. Es führt kein Weg vorbei an einer klaren Strategie, die den Volkswillen respektiert und zugleich dem Umstand Rechnung trägt, dass sich die Schweiz im Herzen Europas befindet.
Vielleicht könnte Donald Trump vermitteln? Der Bundesrat hat jetzt ja einen Draht zu ihm.
Pierre Maudet (39) ist Sicherheits- und Wirtschaftsminister des Kantons Genf. Der FDP-Politiker ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Er schreibt jeden zweiten Mittwoch im BLICK.