Asylgesuche
Sie übertreiben, Herr Maurer!

Der Finanzminister spricht von 45'000 Asylgesuchen für das laufende Jahr. Es werden wohl weniger als 30'000 sein.
Publiziert: 10.07.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 23:17 Uhr
Flüchtlinge erreichen die griechische Insel Lesbos. Mit letzter Kraft gelangen sie an Land.
Foto: Santi Palacios
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Sermîn Faki

Mit 45'000 Asylgesuchen rechnet Finanzminister Ueli Maurer (65) für dieses Jahr. Angesichts der Kosten hat der SVP-Magistrat das Staatssekretariat für Migration diese Woche einer Laisser-faire-Politik beschuldigt.

Doch wie kommt Maurer auf 45'000? Gemäss Finanzdepartement handelt es sich um eine Schätzung, die «auf gewichteten Durchschnitten der Asylgesuchszahlen der letzten vier Jahre basiert und gleichzeitig den Trend des laufenden Jahres berücksichtigt». Das klingt logisch: Schliesslich haben letztes Jahr 39'523 Personen in der Schweiz um Asyl ersucht, und seitdem wurde weder der Krieg in Syrien beendet noch hat sich die unsichere Lage in Afghanistan verbessert oder das Regime in Eritrea sich gemässigt.

Balkan-Route ist zu

Eines aber ist anders als im letzten Jahr: Die Balkan-Route ist zu. Das ist wohl nicht in Maurers Überlegungen eingeflossen. Unverständlich, denn von den über einer Million Flüchtlingen, die 2015 Mitteleuropa erreichten, kamen 80 Prozent über den Balkan.

Die Schliessung dieses Fluchtwegs hat massive Auswirkungen: «Die Zahl der ankommenden Personen ging seit dem Februar umgehend zurück», heisst es in einem neuen Bericht der EU-Grenzschutzagentur Frontex.

Flüchtlings-Deal

Hinzu kommt der Flüchtlings-Deal zwischen der Türkei und der EU, der die Türkei verpflichtet, die Seerouten Richtung Griechenland zu kontrollieren und Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurückzunehmen. Seit der Deal in Kraft ist, sind die Neuankünfte auf einen Tiefststand zurückgegangen.

Der deutsche Migrationsforscher Jochen Oltmer (51) meint, dass das so bleibe. «Das Abkommen mit der Türkei ist stabil», sagt er. Oberstes Ziel der EU sei, eine Migration wie im letzten Jahr zu unterbinden. «Dem wird alles untergeordnet», so der Professor. Er ist überzeugt: «Davon wird auch die Schweiz profitieren.»

250'000 Migranten warten auf Überfahrt nach Europa

Damit bleibt den Flüchtenden nur noch der Weg über die zentrale Mittelmeer-Route nach Italien. In
Libyen warten nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration rund 250'000 Migranten auf eine Überfahrt nach Europa. Darunter sind aber kaum Flüchtlinge. Dass sich Syrer und Afghanen auf den Weg nach Libyen machen, hält Oltmer für unwahrscheinlich. «Der Weg ist lang, teuer und sehr gefährlich. Die nötigen Pässe, Schlepper, Visa könnten sich die meisten nicht mehr leisten.

Für die Schweiz heisst das: deutlich weniger Asylgesuche als von Maurer angekündigt. Vielmehr dürfte sich die Zahl auf dem Niveau der Vorjahre einpegeln, bei unter 30'000. Das hält auch Expertin Denise Efionayi-Mäder (54) für «gut möglich». Allerdings gebe es Unsicherheiten: Erstens sei die Zahl der Migranten in Libyen unklar, so die Professorin der Uni Neuenburg. «Und zweitens könnten Flüchtlinge, die sich derzeit in einem überlasteten Nachbarstaat befinden, versucht sein, ein Asylgesuch in der Schweiz zu stellen.»

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