Gopfried Stutz mit Claude Chatelain
Aktionäre haben keine Angst vor dem Brexit

Was der Swiss Market Index (SMI) für die Schweiz, ist der FTSE-100 für Grossbritannien
Publiziert: 27.10.2018 um 19:31 Uhr
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Aktualisiert: 27.10.2018 um 19:37 Uhr
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Claude ChatelainKolumnist und Wirtschafts-Publizist

Eigentlich ist das «Echo der Zeit» meine Lieblingssendung. Sie gilt als das Flaggschiff des Schweizer Radios, dessen Leute ihren Arbeitsplatz von Bern nach Zürich-Oerlikon zügeln müssen. Leider berichtet das «Echo» dauernd über die neusten Verhandlungen in Sachen Brexit. Ich kann es nicht mehr hören.

Der Grundtenor lautet: Für England ist der Brexit eine Riesenkatastrophe. Zwar nicht gesellschaftspolitisch, das interessiert eh niemanden, sondern wirtschaftspolitisch. Ist der Brexit wirklich eine Katastrophe?

Wenn das so wäre, müssten die Gewinne der Unternehmen zusammenbrechen. Und wenn die Gewinne ausbleiben, sinken die Aktienkurse. So weit, so klar.

Was der Swiss Market Index (SMI) für die Schweiz, ist der FTSE-100 für Grossbritannien:  das wichtigste Börsenbarometer des Landes. Das Kürzel steht für Financial Times Stock Exchange Index; Insider sprechen vom Footsie.

Wenn wir wissen wollen, wie es um die englische Wirtschaft steht, betrachten wir die Kursentwicklung des Footsie. Am 23. Juni 2016, also vor der historischen Brexit-Abstimmung, lag der FTSE-100 bei 6368 Punkten; heute notiert er 9,5 Prozent höher.

Jetzt wollen wir schauen, wie die Aktien der Euro-Länder in dieser Zeitperiode abschnitten. Dazu nehmen wir den wichtigsten Leitindex für die 19 Staaten mit der Einheitswährung. Es ist dies der EuroStoxx50-Index. In der gleichen Zeitspanne, also seit Juni 2016,  stieg er bloss um 3,3 Prozent,  deutlich weniger stark als der FTSE-100. Und der SMI, dies nur zum Vergleich, stieg in diesen vier Jahren um 8 Prozent.

Auf einen kurzen Nenner gebracht: Gemessen am wichtigsten Bösenindex ist die englische Wirtschaft besser unterwegs als die europäische. Von einer Katastrophe keine Spur. Im Gegenteil: Die Experten und Prognostiker haben wieder mal tüchtig daneben gelangt.

Natürlich ist die Realität oft komplizierter. Gemäss Christoph Schenk, Anlagechef bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB), sind an der Londoner Börse diverse Ölmultis und andere Energiegiganten kotiert, die ihre Gewinne in Dollar erzielen, aber in englischen Pfund abrechnen. Und weil das Pfund seit dem Brexit gegenüber dem Dollar um über 10 Prozent abwertete, stieg der Gewinn pro Aktie, was wiederum den Aktienkurs beflügelt.

Im Euroraum seien dagegen Telekom- und Immobilienaktien stark vertreten, die nicht die gleiche Kursdynamik aufwiesen wie die Energiefirmen. Immerhin räumt Schenk ein, dass die britische Wirtschaft insgesamt vom schwächeren Pfund profitiert.

Was lernen wir daraus? Würde bei einer Kündigung der bilateralen Verträge der Franken auch schwächer? Unsere Exportwirtschaft, die notorisch den starken Franken beklagt, müsste jubilieren. Das würde sie vermutlich nicht tun, sondern weiter jammern, wie sie das besser kann. Diesmal nur aus einem anderen Grund.

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