Editorial
Frauen sind die besseren Bundesräte

Publiziert: 06.08.2017 um 00:28 Uhr
|
Aktualisiert: 12.09.2018 um 11:40 Uhr
Gieri Cavelty
Gieri Cavelty: Chefredaktor SonntagsBlick
Foto: Paul Seewer

Liebe Leserin, lieber Leser

Zwischen November 2010 und Januar 2012 herrschte im Bundesrat eine Frauenmehrheit. Und ja: Wenn der Bundesrat in der jüngeren Vergangenheit jemals Verantwortung übernommen und Weichen gestellt hat, dann in diesen 14 Monaten.

Es war jene Frauenmehrheit, die den Ausstieg aus der Atomenergie auf den Weg brachte. Mittlerweile erscheint uns dieser Entscheid als das Natürlichste von der Welt – damals freilich opponierte die Wirtschaft vehement.

Überhaupt hatte Big Business in jenen 14 Monaten selten etwas zu lachen: Die Frauenregierung auferlegte den Banken schärfere Regelungen, die Schweiz blockierte als erstes europäisches Land die Vermögen arabischer Diktatoren. Allerdings war der Bundesrat nicht grundsätzlich wirtschaftsfeindlich – im Gegenteil: Er brachte die Nationalbank dazu, eine Untergrenze für den Franken einzuführen, rettete so über Jahre hinweg Tausende von Arbeitsplätzen. Was 2011 ebenfalls geschah: Die Artenvielfalt wurde zur Chefinnensache, Kinder wurden besser vor Missbrauch geschützt.

Es war der kurze Frühling einer emanzipierten bürgerlichen Politik! Nach Finanzkrise und Fukushima nahm die Regierung das Heft selbstbewusst in die Hand – um es in den folgenden Jahren männlicher Mehrheiten wieder abzugeben.

Doch halt! So tüchtig die Exekutive in jenem fernen Jahr 2011 agierte: Dies darf nicht der Grund dafür sein, auch für heute eine bessere Frauenvertretung im Bundesrat zu fordern. Frauen brauchen keine «bessere» Politik zu betreiben als Männer. Jeder Mensch schöpft aus seinen Erfahrungen. Und der Erfahrungsschatz der Frauen darf in der Politik schlicht nicht marginalisiert werden – derart marginalisiert werden, wie es bei der aktuellen Regierung mit lediglich zwei weiblichen Mitgliedern der Fall ist. Dass es ab nächstem Jahr sogar nur eine einzige Bundesrätin geben könnte: Das ist erst recht eine Ungeheuerlichkeit! Mit der Wahl von Ignazio Cassis und dem angekündigten Abgang von Doris Leuthard droht aber genau dieses Szenario.

Wie haben wir zu Jahresbeginn alle gelacht beim Besuch des Kinofilms «Die göttliche Ordnung», Petra Volpes Tragikomödie über den Kampf ums Frauenstimmrecht! Wie haben wir den Kopf geschüttelt ob der skurrilen Frauenfeindlichkeit der frühen Siebzigerjahre. Heimlich jedoch haben viele jener Denkmuster überlebt. Wie anders liesse sich der derzeitige Männerüberhang an der Staatsspitze erklären?

Gewiss besteht Hoffnung auf bessere Zeiten. Der Frauenfrühling 2011 war schliesslich keine Kinofiktion – es hat ihn wirklich gegeben! Und dass der Bundesrat damals so hervorragend gearbeitet hat, darf zwar nicht als Hauptargument für eine anständige Frauenvertretung im Bundesrat angeführt werden.

Einfach einmal feststellen darf man diese historische Tatsache aber allemal.

Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen
Gieri Cavelty

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?