Liebe Leserin, lieber Leser
Das Rentensystem ist ein dickes Brett. Mehr als drei Jahrzehnte brauchte es, bis der Verfassungsartikel zur Einführung einer Altersversicherung endlich umgesetzt wurde. 1948 war das – und der Beginn einer Ära allgemeiner AHV-Euphorie. Mittlerweile aber gilt die Altersvorsorge längst wieder als Sorgenkind. Die Politik mahnt zu Reformen. Doch seit zwei Jahrzehnten schmettert das Stimmvolk alle Vorschläge ab, Abbau-Vorlagen ebenso wie solche für einen Ausbau.
Diese Woche versuchen sich National- und Ständerat in einer weiteren Reform. Unter anderem geht es um eine Kürzung der Pensionskassenbezüge. Selbst die SP ist bereit, eine Einbusse bei der zweiten Säule hinzunehmen und aufs Referendum zu verzichten – sofern es zum Trost pro Monat 70 Franken mehr AHV gibt. Wie unsere Bundeshausredaktorin Sermîn Faki zeigt, lobbyieren die Gegner der 70 Franken derzeit ausgesprochen aggressiv für ihr Anliegen. Gleichwohl dürfte die Erhöhung letztlich eine Mehrheit in den Räten finden. Damit hätte erstmals seit 1995 eine Rentenvorlage im Parlament die Unterstützung von Linken wie Bürgerlichen.
Ende gut, alles gut? Wohl kaum. Gewerkschaften am linken Rand wollen in jedem Fall das Referendum ergreifen. Und die SonntagsBlick-Umfrage bei 1002 Stimmberechtigten zeigt: Sogar die von der SP mitgetragene Lösung mit den zusätzlichen 70 Franken bei der AHV würde heute an der Urne keine Mehrheit finden. Die meisten Stimmenden wollen Kürzungen bei der Pensionskasse nicht hinnehmen. Selbst wenn diese vergleichsweise bescheidene Korrektur eine Volksabstimmung wie durch ein Wunder überstehen sollte – für weitergehende Revisionen besteht null Hoffnung.
Warum das so ist, lernen wir aus dem Golfsport, der Lieblingsbeschäftigung mancher reichen Rentner. Die amerikanischen Ökonomen Maurice Schweitzer und Devin Pope haben 2,5 Millionen Schläge von Profi-Golfern untersucht und herausgefunden: Ein Spieler trifft besser, wenn es darum geht, ein schlechtes Resultat abzuwenden. Weniger gut schlägt er, geht es bloss darum, sich einen raschen Sieg zu sichern.
Diese Beobachtung zeigt: Verlustangst ist die treibende Kraft menschlichen Handelns. In diesem Sinne liegt Herrn und Frau Schweizer wohl nicht so viel an einem Ausbau des Rentensystems. Sie werden sich aber garantiert gegen jede Senkung ihrer Renten- und Pensionsansprüche stemmen.
Auch für dieses politische Phänomen gibt es einen Begriff aus dem Sport: Spielverderber!
Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen
Gieri Cavelty