Liebe Leserin, lieber Leser
Es ist schon einige Zeit her, dass ich mich zum ersten Mal journalistisch mit der Schweizerischen Islamischen Gemeinschaft beschäftigte. Die Vereinigung unterhält derzeit 19 Moscheen im ganzen Land, zählt mehr als 3000 Mitglieder – und hatte einst auf ihrer Website Sätze publiziert wie: «Muslimen ist auferlegt, Juden und Christen mit Respekt zu behandeln und nicht mit ihnen zu kämpfen, solange diese nicht den Islam verspotten.» Manchmal aber sei Gewaltanwendung eben «die menschliche Reaktion eines unterdrückten Volkes».
Anders formuliert: Gewalt gegen Andersdenkende geht in Ordnung – man muss sich nur provoziert fühlen. Und da war noch so eine Aussage: «Wir sind gegen eine Assimilation unter dem Decknamen der Integration.»
Heute sind diese Sätze von der Website verschwunden. Hat sich die Schweizerische Islamische Gemeinschaft womöglich zum Klub der Weltoffenen verkehrt? Man mag es nicht recht glauben. In einem Mail an den SonntagsBlick verurteilt der Verein jede Art von Gewalt und bekennt sich zum Rechtsstaat. Ein Gespräch indes lehnt man ab, angeblich aus Angst vor Missverständnissen.
Was sich in den letzten Jahren sehr wohl verändert hat, ist Westeuropa. Der islamistische Terror zieht eine Blutspur durch den Kontinent. Beim jüngsten Massaker in Barcelona ist noch etwas Entscheidendes hinzugekommen: Ein Imam agierte als Kopf der Attentäter. Bisher betonten Europas Muslimverbände stets, der Terror habe mit ihrer Religion nichts zu tun. Nach Barcelona tönen solche Beteuerungen vollends unglaubwürdig.
Am prägnantesten formuliert den Zweifel ein muslimischer Würdenträger aus Fernost. Kyai Haji Yahya Cholil Staquf, Generalsekretär der grössten religiösen Vereinigung in Indonesien, sagte der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung»: «Der traditionelle Islam, der eine Haltung von Segregation und Feindschaft gegenüber Nichtmuslimen fördert, ist ein wichtiger Grund für den Terror.»
Es geht an dieser Stelle nicht darum, die 400'000 Muslime in der Schweiz unter Generalverdacht zu stellen. 90 Prozent besuchen ohnehin selten bis nie eine Moschee. Wahr ist aber auch: Die Schweizerische Islamische Gemeinschaft ist Mitglied der FIDS, der Dachorganisation der Muslime in der Schweiz. Sie prägt das Verständnis des Islam in diesem Land wesentlich mit.
Nach jedem Anschlag publiziert der Dachverband ein Communiqué. Darin verurteilt er zwar den Terror. Das hört sich mittlerweile allerdings an wie blosse Worthülsen. Die Moscheen müssen sich vielmehr grundsätzlich mit der Gewaltkomponente im Islam sowie mit ihren eigenen antiwestlichen Ressentiments auseinandersetzen – und dazu ohne Wenn und Aber auf Distanz gehen. Solange dies unterbleibt, kann jeder muslimische Gewalttäter auf das heimliche Einverständnis seiner Glaubensbrüder hoffen.
Keine Frage: So viel Selbstreflexion bedeutet einen schmerzhaften Prozess für die islamischen Organisationen, die sich lieber als Opfer von Missverständnissen und Fremdenhass sehen. Irgendwann freilich müssen sie damit beginnen. Sonst wird der Islam hier nie richtig ankommen. Worunter die ganz normalen Muslime am meisten leiden.
Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen
Gieri Cavelty