Für die «Neue Zürcher Zeitung» war das überwältigende Nein zur Unternehmenssteuerreform III «Ausdruck eines grösseren Malaises», insofern «ein böses Erwachen», denn «das Misstrauen ging durch alle Schichten».
Das Nein ist also enträtselt: Das Volk misstraut seiner politisch-wirtschaftlichen Elite.
Der Zürcher «Tages-Anzeiger» sieht es anders: «Vertrauenskrise? Welche Vertrauenskrise?» überschreibt das Blatt eine ETH-Analyse, wonach die Schweizer Bevölkerung dem Bundesrat, der Wirtschaft und dem Parlament durchaus vertraue.
Das Nein bleibt also ein Rätsel: Das Volk vertraut seiner politisch-wirtschaftlichen Elite.
Was denn nun?
Richtig ist: Das Volk erklärte jenem Teil der politischen Elite, der die USR III in Bundesrat und Parlament ausgebrütet und durchgesetzt hatte, am vergangenen Wochenende sein Misstrauen. Dem andern Teil der Elite hingegen, der sich gegen die USR III gestellt hatte, erklärte das Volk sein Vertrauen.
Richtig ist auch: Das Volk vertraut den Institutionen, hat es doch sein Recht wahrgenommen, zu einer Vorlage aus dem Bundeshaus Ja oder Nein zu sagen. Im vorliegenden Fall massiv Nein. Aber eben im vorgesehenen institutionellen Verfahren, nicht etwa durch Protest auf der Strasse.
Und wie ist es nun mit der Wirtschaft? Vertraut das Volk ihr noch – oder misstraut es ihr?
Die Wirtschaft, wie sie zwischen Genf und Romanshorn von der Autobahn aus zu besichtigen ist, also die vielen Tausend mittleren und kleinen, tüchtigen und erfinderischen Firmen, die für den Binnenmarkt oder für die weite Welt produzieren, geniessen das Vertrauen des Volkes, also der vielen Hunderttausend tüchtigen und hoch qualifizierten Arbeitnehmer. Warum sollte es anders sein?
Den 24'000 ausländischen Holdings und Finanzgesellschaften jedoch, nach deren Wünschen die Unternehmenssteuerreform III zurechtgeschneidert worden war, vertraut das Volk ganz offensichtlich nicht. Wie das Abstimmungsresultat mit fast 60 Prozent Nein-Stimmen deutlich macht, misstraut es dieser Steuerflucht-Wirtschaft, die in Schweizer Gemarkungen ihr Geld-Asyl findet – einer Oligarchen-Wirtschaft von Kiew bis Karaganda, einer Potentaten-Ökonomie aus dem Nahen Osten. Warum sollte es anders sein?
Das Misstrauen der Schweizer gilt jedoch vor allem den politisch-wirtschaftlichen Kräften, die solche Interessen durchsetzen und absichern. Wer aber sind diese Agenten ausländischer Steueroptimierer?
Zum einen ist es eine neue Clique von Politikern, die mit der USR III demonstrieren wollte, wer die Schweiz regiert: ein rechtsbürgerliches Netzwerk von Parlamentariern wie Aeschi, Matter, Martullo-Blocher, Gössi, Bigler.
Ferner sind es Beraterfirmen, die zur Ausformulierung der USR III hinzugezogen wurden: Dienstleister für Kunden aus der Welt der globalen Steuerflucht.
Kann man die beiden Kräfte, denen eine spektakuläre Mehrheit des Volkes am vergangenen Wochenende das Misstrauen ausgesprochen hat, auf einen einfachen Nenner bringen?
Vielleicht so: Am liebsten würden sie das ganze Land an die Börse bringen.
Natürlich nur, wie der freisinnige Wahlspruch versichert, «aus Liebe zur Schweiz».