Z’graggen! Amsler! Schneider-Schneiter! Hegglin! Ettlin! Wer hat noch nicht, wer will noch?
Melden, abmelden, so läuft das Spiel: Bundesratsanwärter sonder Zahl. Doch damit nicht genug, eine Grünen-Nationalrätin fordert nun auch noch Jobsharing für das Amt – 14 Landesregierer statt nur sieben: endlich mehr Platz für Kandidaten!
Es ist gerade hohe Zeit der Selbstinszenierung. Das hat den wundersamen Effekt, dass die Öffentlichkeit den betreffenden Namen einen Moment lang in Zusammenhang mit dem Amt eines Bundesrates wahrnimmt: Man gehört fortan zur Kategorie der Fast-Bundesräte.
Papabile heisst auf Latein jemand, der Chancen hat, Papst zu werden. In der Schweiz ist es die Ehrenmeldung vor Bundesratswahlen – in aller Regel selbstverfasst.
In solchen Stimmungslagen gilt auch Schweigen nur als Verschweigen, als besonders raffinierte Profilierung, ja geradezu als versteckte Strategie, die zu denunzieren demokratische Pflicht ist. «Geheimplan Pfister» lautet dann etwa die Überschrift.
Und es stimmt ja auch: Gerhard Pfister, Präsident der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), hat zur Bundesratskandidatur, die ihm seit neustem unterstellt wird, bisher still vor sich hin geschwiegen. Aus Partei-räson?
Aus Edelmut? Aus Rücksicht auf die Kandidatur einer Frau?
Vielleicht ist der Schweiger aus dem Kanton Zug auch einfach nur zu bescheiden. Das haben Persönlichkeiten bisweilen an sich, wenn um sie herum Personen wimmeln, die nach einem Posten gieren. Man wartet ab, bis der Unernst dem Ernst der Lage weicht.
Also Gerhard Pfister? Ein konservativer Skeptiker? Ein katholischer Intellektueller? Ein gebildeter Politiker? Das wäre viel auf einmal.
Zu viel?
Gerhard Pfister hat über den österreichischen Schriftsteller Peter Handke doktoriert; er zitiert in Interviews Max Frisch; Geschichte ist ihm geläufig. So sagt er zur Selbstbestimmungs-Initiative: «Wer es ernst meint mit der Betonung der christlich geprägten Kultur des Westens (...), der kann nicht ernsthaft eine Initiative unterstützen, die die Kündigung der Menschenrechte in Kauf nimmt.»
Das redet der Zuger Lehrer und Schulunternehmer nicht einfach so daher, das wurzelt tief in seiner christlichen Überzeugung: «Der Mensch ist göttlich, das Ebenbild Gottes. Das ist die christliche Lehre, denn Gott ist in Jesus zum Menschen geworden. Diese Vergöttlichung des Menschen war die Voraussetzung für die Idee unantastbarer Menschenrechte, die wiederum die Freiheit des Menschen begründen. Die Menschenrechte haben christliche Wurzeln. Man kann diese Rechte nicht aufkündigen, ohne sich von der eigenen christlichen Geschichte abzuwenden.»
Ein kurzer Exkurs, der den Bogen schlägt vom katholischen Glauben bis zu den Werten der Aufklärung – aus dem Mund eines praktizierenden Politikers. Ja, so etwas gibt es noch. Im Bundeshaus. Ist es auch zulässig? Oder doch zu verstiegen in unseren Facebook-Zeiten?
Gerhard Pfister weiss stets genau, wovon er spricht. Den Einsiedler, Asketen und Mystiker Niklaus von Flüe (1417–1487) versteht er in ein modernes Bewusstsein zu integrieren: «Der Grundgedanke der Mystik ist reformatorisch: Wer an Gott glaubt, kann ihn direkt erfahren, ohne Vermittlung durch eine Kirche. Das ist eine eminent politische Botschaft – und eine Aufforderung, ein politisches Leben zu führen.»
Wer braucht solche Politiker? Einst gab es sie in respektabler, sogar einflussreicher Zahl, auch in den bürgerlichen Parteien. Sie waren nicht nur in der Geschichte des Westens verankert, sondern dieser Geschichte stets auch verpflichtet. Und heute? Die Schweizer Christdemokraten haben einen – den letzten? – als Präsidenten.
Gerhard Pfisters westlich-christliche Grundierung wirkt hinein in seine praktische Politik. Zum Migrationsproblem mit dem Islam erklärt er: «Das ist die Herausforderung für den Westen: Es kommen Migranten, die das Fundament des westlichen Lebensmodells ablehnen. (...) Wir müssen merken, dass die Errungenschaften des Westens mehr sind als eine billige Plattform für individuelle Lebensgestaltung. Ich bin bereit, Flüchtlingen Schutz zu bieten, aber mit der gleichen Selbstverständlichkeit erwarte ich, dass sie die hiesigen Regeln vollumfänglich akzeptieren.»
Bei diesem Politiker ergibt sich alles aus dem Ernst des Denkens – auch das Verständnis von Freiheit und Verantwortung: «Freiheit leitet sich aus der Würde des Menschen ab; das ist ein christdemokratischer Grundsatz. Im Gegensatz zu den Liberalen ist für einen Christdemokraten aber wichtig, die Solidarität, die Verantwortung mitzudenken. Wir verherrlichen den Staat nicht (...), aber seine soziale Funktion muss er wahrnehmen.»
Ein skeptisch-konservatives Staatsverständnis, Gesellschaftsverständnis, Zeitverständnis – darf es auch ein praktisches Politikverständnis sein?
Populistische Schwadroneure schwelgen im Selbstgefühl, den konservativen Zeitgeist zu verkörpern. Es wäre an der Zeit, ihnen mit einem zeitenthobenen Konservatismus zu begegnen, der solchem Ungeist Geist entgegensetzt: die werteverankerte Skepsis westlicher politischer Kultur.
Der Schweizer Landesregierung stünde dies gut an.