Unter den Angestellten wird es in Anlehnung an George Orwells Roman «1984» das «Ministerium für Wahrheit» genannt. Ein unscheinbares Gebäude im historischen Viertel Olgino in St. Petersburg, an der Fassade eines kleines Schild, auf dem «Businesszentrum» steht, vor den Fenstern weisse, blickdichte Vorhänge. Hinter ihnen, auf vier Stockwerken verteilt, sollen hier Hunderte sogenannter Trolle arbeiten. Menschen, die dafür bezahlt werden, das Internet mit pro-russischen Kommentaren zu fluten. Mit dem Ziel, die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Eine Arbeit, die dem Job von Fabrikarbeitern ähnelt. Gearbeitet wird in der «Agentur zur Analyse des Internets» – offenbar die grösste Troll-Fabrik im Land – in Schichten à zwölf Stunden. 135 Kommentare mit mindestens 200 Zeichen Länge muss ein Mitarbeiter in dieser Zeit abliefern. Das erzählen mehrere ehemalige Angestellte unter anderem dem kremlkritischen «Radio Free Europe» und dem britischen «Guardian».
Mindestens 40'000 Rubel, umgerechnet knapp 700 Franken, verdient ein vom Staat angestellter Troll laut Marat Burkhard. Der Mann mit Schweizer Nachnamen arbeitete laut eigenen Angaben zwei Monate lang für Putins Propaganda-Maschinerie. Er war zuständig für das Zuspammen von Foren auf den Websites von russischen Kommunen, sagt der 40-Jährige «Radio Free Europe».
Den Job zu bekommen, sei nicht leicht gewesen. Und auch nach der Einstellung sei man überwacht worden. Die verfassten Kommentare würden auf ihren ideologischen Inhalt überprüft. «Es gibt massenhaft Manager, die jede und jeden ständig überwachen und verfolgen.»
Troll studierte in der Schweiz
Es gebe «Fanatiker», die tatsächlich glaubten, was sie schrieben. Für viele Trolle ist die Arbeit in der «Internet-Agentur» aber nichts als ein gutbezahlter Job – so auch für Burkhard. Privat sei er pro-westlich eingestellt, sagt er zu «Radio Free Europe». Burkhard hat Recherchen des «Tages-Anzeigers» zufolge 2006 in Bern Literatur studiert. Das Jahr darauf soll er an der Réception eines Hotels in Davos gearbeitet haben und 2011 nach Russland gezogen sein. Das ist alles, was über den Blogger bekannt ist.
In der Troll-Fabrik herrscht ein militärisch anmutendes Arbeitsregime. «Du kannst gefeuert werden, wenn du lachst», sagt Burkhard. Für Plaudereien habe man keine Zeit. «Du musst einfach dasitzen und tippen und tippen, ohne Ende.»
Dabei spinnen die Propaganda-Mitarbeiter ein dichtes Netz an Lügen, sie verbreiten Falschinformationen und Verschwörungstheorien und verunglimpfen politische Feinde des Kremls. Das Ganze hat System. Oftmals würde ein Mitarbeiter erst unter falschem Namen auf sozialen Netzwerken, Foren oder in den Kommentarspalten von Medien einen russlandkritischen Kommentar posten. Dann reagieren andere Trolls ebenfalls via Fake-Profile, stellen das Geschriebene als Falschinformation dar, verbreiten die vorgegebene Meinung, posten Bilder und Cartoons, verlinken auf andere Propaganda-Artikel. Das Wichtigste sei dabei, das gewisse Schlagwörter wie Ukraine, Putin oder Obama verwendet würden, sagt Burkhard. Immer die gleichen und am besten undekliniert – was im Russischen gar nicht so einfach ist.
Doch auch bei englischsprachigen Medien wie «BBC» und «CNN» wüten die Putin-Trolle. Wer englische Kommentare verfasst, wird deutlich besser entlöhnt. Bis zu rund 1100 Franken sollen drinliegen.
Keine Ahnung von Inhalten
Dabei würden die Kommentarschreiben oftmals nicht wissen, worüber sie überhaupt schreiben. Die Anweisung lautet arbeiten – nicht denken. «Nicht einmal ein Politikwissenschaftler kann ein Experte für die ganze Welt sein, aber hier wird von den Leuten erwartet, über alles zu schreiben.» Um sicherzustellen, dass zumindest ein Grundwissen an Putin-Propaganda vorhanden ist, würden regelmässig Vorträge stattfinden. Aber auch diese als «Experten» beworbenen Redner hätten nur ein rudimentäres Grundwissen, sagt Ex-Troll Burkhard.
Nicht nur das hat die ehemaligen Mitarbeiter abgeschreckt und sie schliesslich zur Kündigung bewogen. Eine andere ehemalige Mitarbeiterin sagt zum «Guardian», «das Unheimlichste an der ganzen Sache» sei gewesen, wenn man in der Freizeit mit seinen Freunden gesprochen und dabei gemerkt habe, dass sie genau das wiederholten, was die Trolle beauftragt worden waren zu schreiben. (lha)