Nach den Parlamentswahlen vom 15. Oktober bläst in Österreich ein anderer Wind. Die Sozialdemokraten (SPÖ) sind raus aus der Regierung. Zurzeit verhandeln die grossen Wahlsieger ÖVP und FPÖ hinter verschlossenen Türen über eine Koalition. Wichtiges Thema: Ausbau der direkten Demokratie.
Vergangene Woche weilten die beiden Abgeordneten Reinhold Lopatka (57, ÖVP) und Reinhard Eugen Bösch (60, FPÖ) in Begleitung einer Delegation von österreichischen Journalisten in der Schweiz. Eingeladen hatte die Schweizer Botschaft in Wien, die ihnen die direkte Demokratie vorstellen wollte. Stationen waren unter anderem das Zentrum für Demokratie in Aarau und das Bundeshaus.
Knacknuss neutrale Information
Der ehemalige ÖVP-Chef Reinhold Lopatka zu BLICK: «Bei den Koalitionsverhandlungen ist die direkte Demokratie in der Schweiz immer ein Thema. Wir streben eine Mischung des Schweizer Systems mit unserem traditionellen Modell der repräsentativen Demokratie an.» Ein Ziel sei, dass in Österreich zwingend eine Volksabstimmung stattfinden müsse, wenn ein Volksbegehren eine bestimmte Anzahl an Unterstützern findet.
Lopatka staunt vor allem über die Verknüpfung von Volk und Bundeshaus. «Das Volk ist immer irgendwie eingebunden, auch wenn die Entscheidungen im Bundeshaus gefällt werden.» Von Vorteil sei auch, dass an einem Tag über mehrere Themen abgestimmt werden könne. Das helfe Kosten zu sparen.
Als grosse Herausforderung, die in der Schweiz gelinge, betrachtet Lopatka die Information der Bürger. «Wer würde das in Österreich machen? Und wie neutral wäre die Information? Ich bin überzeugt, dass es da immer wieder zu heftigen Diskussionen kommen würde.»
Partei statt Sache im Vordergrund
Zu den Besuchern aus Österreich gehörte auch Richard Schmitt (49), Chefredaktor von «krone.at». Schmitt zu BLICK: «Ich bin überrascht, wie sachlich in der Schweiz über Abstimmungsvorlagen diskutiert wird. Bei uns artet jede Volksabstimmung zu einer Zwischenwahl aus. Es geht am Schluss nicht mehr um die Sache, sondern nur darum, welche Partei gewinnt.»
Sowohl für Schmitt als auch für Lopatka ist klar, dass das Schweizer System nicht einfach adaptiert werden kann. Schmitt: «Dafür fehlen uns 150 Jahre Erfahrung.» Und Lopatka ergänzt: «Wir haben eine ganz andere Geschichte.»