Es waren ungewohnt offene Worte, die Angela Merkel (62) nach ihrer Rückkehr vom G-7-Gipfel fand. In einem Münchner Bierzelt zeigte sie sich enttäuscht über die zähen Verhandlungen: «Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt.»
Sie sprach von den USA, meinte aber wohl auch Grossbritannien. Und sagte weiter: «Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.» Den letzten Satz hatte Merkel schon einmal geäussert, nach der Wahl Donald Trumps (70). Nun aber klang es wie eine bittere Erkenntnis.
Kommt es zum historischen Bruch?
In den USA schenkt Merkels Botschaft aus dem Bierzelt ein. Vor allem für Trumps Gegner sind die Worte ein Beleg dafür, dass Trump mit seiner ungehobelten Art alte Allianzen gefährdet. Manche Kommentatoren sprechen bereits von einem historischen Bruch zwischen Europa und den USA. Selbst die sachlich-kühle «New York Times» spricht von einer «potenziell seismischen Verschiebung in den transatlantischen Beziehungen».
Auch wenn derart radikale Deutungen vielleicht überstürzt sind, scheint klar: Für Europa wird es angesichts der Herausforderungen Trump und Brexit ernst. Verweigert sich Trump weiterhin einer gemeinsamen westlichen Position, wird die Handlungsfähigkeit der EU als eigenständiger weltpolitischer Akteur bald auf die Probe gestellt.
Die EU könnte sich dann nicht mehr hauptsächlich auf Probleme wie Griechenland konzentrieren. Stattdessen müsste sie diese schnell aus der Welt schaffen, will sie bei Themen wie Sicherheitspolitik, Welthandel oder Klimaschutz weiterhin mitbestimmen.
Wie sind die scharfen Töne aus Deutschland zu deuten?
Seit Ende des Zweiten Weltkrieges besteht ein besonderes Band zwischen Deutschland und den USA. Die Amerikaner hielten seither stets eine schützende Hand über die Deutschen. Steht die Beziehung zwischen den beiden Nationen nun also wirklich auf der Kippe?
Transatlantik-Experte Dan Hamilton wiegelt ab. «Merkel steht im Wahlkampf. Dabei gewinnt sie nicht, wenn sie Donald Trump schützt oder unterstützt», sagt er. «Wenn sie eine neue deutsche Aussenpolitik hätte erklären wollen, hätte sie es nicht bei einem bayerischen Bierfest gemacht.»
Ausserdem seien sich die Amerikaner Kritik aus Deutschland durchaus gewöhnt. «Man denke hierbei an Vietnam, INF-Debatten, Irak-Krieg, die Todesstrafe, Chlorhühnchen, Klimapolitik, Platform Economy-Firmen oder die NSA», sagt Hamilton.
Auch einen Bruch zwischen Amerika und Europa als Ganzem hält der Experte für unwahrscheinlich. «Die Wirtschaften sind zu verflochten, die gegenseitigen Sicherheitsverpflichtungen zu eng, die Werte zu ähnlich», sagt Hamilton. «Es gibt keine einheitliche europäische Politik gegenüber Trump. Dafür sind die Europäer selber zu verschieden.» Man werde sich deshalb bemühen, mit Trump klarzukommen, trotz aller Schwierigkeiten.
Ist China der grosse Gewinner?
Merkel und Emmanuel Macron (39) hatten während des Gipfels Einigkeit demonstriert – ein deutliches Signal an die Welt. Denn die Vertreter der zwei mächtigsten EU-Staaten sind sich bewusst: Schotten sich die USA weiter ab, wird dies den Aufstieg Chinas zur globalen Führungsmacht beschleunigen.
Im Hintergrund verhandeln die Europäer daher mit zahlreichen Ländern über weitere Handelsabkommen. Noch in dieser Woche wird Merkel den indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi sowie sein chinesisches Pendant Li Keqiang in Berlin empfangen.
Was passiert nun mit dem Klimaabkommen?
Mit der Hilfe Macrons konnte Merkel verhindern, dass Trump das Pariser Klima-Abkommen in Taormina aufkündigt. Via Twitter hat der US-Präsident eine Entscheidung auf Mittwoch angekündigt.
Merkel sprach nach dem Scheitern in der Klimapolitik von einer Konstellation «sechs gegen eins». Betonte aber auch, dass man sich weiter zu den Zielen von Paris bekenne – notfalls auch ohne Trump.
Ist Europa militärisch auf sich gestellt?
2014, nach der Annexion der Krim und der Invasion in der Ostukraine, wurde Russland aus der Runde ausgeschlossen. Aus der G 8 wurde damals die G 7. Nun scheint diese G 7 zu einer G 6 plus 1 zu mutieren. Könnte Wladimir Putin (64) von dieser Uneinigkeit des Westens profitieren?
Derzeit sieht es nicht danach aus. Denn in den Verhandlungen über die aussen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen – Nordkorea, Syrien, Libyen sowie Russland – zeigte sich Trump durchaus kooperativ.
Mit dem Verweis auf den Minsk-Prozess im Abschlussdokument machte er klar, dass die USA wenn nötig bereit seien, «restriktivere Massnahmen zu ergreifen, um für Russland die Kosten seines Handelns zu erhöhen. In diesem Punkt trägt Trump die Linie seines Vorgängers Barack Obama (55) mit.
Wie geht es jetzt weiter?
Bereits in sechs Wochen treffen sich die Staatschefs wieder: beim G-20-Gipfel in Hamburg. Dort wird Angela Merkel als Gastgeberin noch mehr im Fokus stehen – und wohl noch mehr in die Rolle der zentralen Gegenspielerin von Trump gedrängt werden. Taormina hat den Ton schon mal vorgegeben. Es wird sich zeigen, ob er in Hamburg noch schärfer wird.