Leere Supermärkte, 13'000 Prozent Inflation und kein Strom in Venezuela
Das Schreckensregime des Nicolás Maduro

Am 20. Mai sollen die Venezolaner einen neuen Präsidenten wählen. Wen sie auf keinen Fall mehr an der Staatsspitze sehen wollen, steht für sie fest. Trotzdem wird Amtsinhaber Maduro die Wahl gewinnen.
Publiziert: 03.03.2018 um 21:16 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 05:10 Uhr
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Venezuelas Präsident Nicolas Maduro und seine Frau Cilia Flores. Maduro will am 20. Mai wiedergewählt werden.
Foto: FEDERICO PARRA
Johannes von Dohnanyi

Überall vor der Küste ragen die Fördertürme aus dem flachen Wasser. Auf den ersten Blick der sichtbare Beweis für den ungeheuren Reichtum des Landes: Mit geschätzten 65.000 Millionen Tonnen verfügt Venezuela über die grössten Öl- und Gasreserven der Welt.

Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Nach Jahren autoritärer Misswirtschaft ist der südamerikanische Staat zum Armenhaus der Region verkommen. Seit die regierende «Vereinigte Sozialistische Partei» die Kontrolle über die Ölindustrie an sich gerissen hat, verkommen die wertvollen Anlagen. Die meisten Pumpen fördern nichts mehr. Sie verrosten.

14 Jahre war Präsident Hugo Chàvez an der Macht gewesen, als er am 5. März 2013 an Krebs starb. Eine «bolivarische Revolution» hatte der Putschist den Venezolanern versprochen. Doch das versprochene Glück, der Wohlstand für alle waren ausgeblieben. Statt dessen hatte der zunehmend autoritäre Vorkämpfer eines neuen lateinamerikanischen Sozialismus sein Land in die Armut getrieben.

Erst unter seinem Nachfolger Nicolás Maduro aber ist aus dem sozialistischen Traum endgültig ein nationaler Albtraum geworden.

Immer wieder fällt im ölreichsten Land der Welt der Strom aus. Ohne Benzin oder Diesel können dann in vielen Krankenhäusern die Notaggregate nicht anspringen. 2016, dem bisher letzten Jahr offizieller Statistiken, stieg die Kindersterblichkeit landesweit um 30 Prozent. Erst Mitte Februar starben in einem Krankenhaus in der Hauptstadt Caracas sechs Säuglinge.

Überall sind Spitzel unterwegs

Die Regale in den Supermärkten sind meistens wie leergefegt. Die Waisenhäuser seien überfüllt, erzählt ein Mitarbeiter der katholischen Diözese Caracas: «Immer mehr Eltern geben ihre Kinder bei uns ab, damit sie nicht verhungern.» Seinen Namen will der Mann selbst im fernen Europa nicht gedruckt sehen. Auch über die korrupten Parteimitglieder, die sich an der staatlich kontrollierten Lebensmittelhilfe für die Armen bereichern, will er am Telefon nicht reden: «Zu gefährlich», sagt er: «Zu viele Ohren, die mithören.»

Die Angst ist berechtigt. Am 20. Mai will sich Präsident Maduro eine zweite sechsjährige Amtszeit sichern. Eigentlich sollte die Wahl schon im vergangenen Dezember über die Bühne gehen. Zweimal wurde der Termin bereits verschoben.

Beim ersten Mal war es der Opposition gelungen, zehntausende Regierungsgegner auf die Strasse zu bringen. Als die Proteste in Gewalt umschlugen, schoss das Militär in die Menge. Tote Demonstranten ausgerechnet in den Tagen vor dem Urnengang - das war dann selbst Präsident Maduro zu riskant.

Ein Capuccino kostet so viel wie früher eine kleine Wohnung 

Dann kam ihm die - natürlich von der Partei kontrollierte - Wahlkommission zu Hilfe. Den aussichtsreichsten Kandidaten der Opposition wurde die Zulassung verweigert. Jetzt wird nur der eher farblose Provinzpolitiker Henri Falcón gegen den Präsidenten antreten. Warum Falcón den von der Opposition beschlossenen Boycott der Wahlfarce nicht befolgt hat, bleibt unklar. Fest steht nur: Gegen Maduro hat er so gut wie keine Chance.

Dabei hätten die Venezolaner allen Grund, den Präsidenten und seine Clique zum Teufel zu jagen. In diesem Jahr wird eine Inflationsrate von nicht weniger als 13.000 Prozent erwartet. Endlose Menschenschlangen stehen vor den Banken. Aber die Geldautomaten spucken nur noch selten Scheine aus. Säckeweise Bargeld verkaufen - natürlich gegen Gebühr - stattdessen korrupte Staatsdiener in kaum versteckten Hinterzimmern. Für den Stapel Geldscheine, den man heute für einen Capuccino hinlegen muss, hätte man vor 15 Jahren noch eine Einzimmerwohnung am Stadtrand von Caracas bekommen.

Kryptogeld - die ultimative Kontrolle

Kein Wunder, dass immer mehr Venezolaner versuchen, sich irgendwie in den Nachbarländern in Sicherheit zu bringen. Doch solch «unpatriotischem Gangstertum» will Nicolás Maduro jetzt einen Riegel vorschieben.

Denn die neue und den «Bolivar» ersetzende Kryptowährung «Petro» soll nicht nur die Hyperinflation in den Griff bekommen. Mit dem neuen Digitalgeld, sagen Experten, hat sich Maduro einen autoritär-staatlichen Kontrollalbtraum über die 15 Millionen Venezolaner geschenkt: Wer nicht pariert, wer sich ins Ausland absetzt, wer politisch anders als Maduro-sozialistisch denkt - der kann per Computertaste jederzeit enteignet werden.

Damit die Venezolaner möglichst wenig von dem Zustand ihres eigentlich so reichen Landes erfahren, erhöht das Regime den Druck auf seine Kritiker. Im August 2017 setzten sich sogar die Generalstaatsanwältin Luisa Ortega und ihr Mann mit einer spektakulären nächtlichen Flucht nach Kolumbien ab. Die Juristin hatte es gewagt, einige Entscheidungen des Präsidenten in Zweifel zu ziehen.

Jagd auf Journalisten

Zunehmend verfolgt wird aber auch die freie Presse. Im vergangenen Jahr hatten die Journalisten der investigativen Online-Zeitung armando.info enthüllt, wie korrupte Staatsdiener und der skandalumwitterte kolumbianische Geschäftsmann Alex Saab die Preise für subventionierte Lebensmittel künstlich aufgeblasen hatten. Den Reibach der «Sozialisten» auf Kosten der Ärmsten hatte Armando-Chefredaktor Joseph Poliszuk damals auf mehrere Millionen Dollar geschätzt.

Am 9. Februar mussten Poliszuk und drei seiner Reporter dann in letzter Sekunde über die Grenze in ein Nachbarland fliehen. Die Polizei, hatten Informanten die Journalisten gewarnt, war bereits auf dem Weg gewesen. Er stehe, meldete sich der Chefredaktor wenige Tage später aus einem Versteck, «immer noch unter Schock.»

Erpressung als politische Waffe

In den Wochen vor der Präsidentenwahl am 20. Mai wächst die Unruhe in der Region. Die meisten Nachbarländer halten sich mit ihrer Kritik an dem zunehmend irrational agierenden Regime von Nicolás Maduro nicht mehr zurück. Und eine unmissverständliche Warnung ist in Caracas aus Washington eingegangen. Man könne die «systematische Zerstörung der venezolanischen Demokratie» nicht länger tatenlos hinnehmen, sagte US-Aussenminister Rex Tillerson und dachte laut über neue Erdöl-Sanktionen nach.

Das war zwar nackte Erpressung. Dennoch hofft die Mehrheit der sonst so patriotisch-stolzen Venezolaner darauf, dass sie funktioniert.

In ihren Augen ist alles besser als noch einmal sechs Jahre unter Präsident Nicolás Maduro.

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