Lawinen-Opfer hätten gerettet werden können
Behörden ermitteln wegen Schlamperei

Während Retter nonstop unter extremen Wetterbedingungen versuchen, noch Lebende zu bergen, beginnen Ermittlungen wegen grober Schlampereien.
Publiziert: 23.01.2017 um 10:52 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 02:09 Uhr
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Feuerwehrmänner suchen in der Umgebung des Hotels Rigopiano nach Überlebenden.
Foto: Handout
Myrte Müller

Beben, Lawinen, Blackout – Mittelitalien erlebt eine Jahrhundert-Katastrophe. Besonders betroffen sind die Abruzzen. Und dennoch, gerade dort klappt nichts!

Hilferufe werden ignoriert, Rettungseinsätze blockiert und es wird viel zu spät reagiert. Wie viel Schuld haben Bürokratie, Ignoranz und Politik am Tod der Lawinenopfer?

Die Ermittler versuchen zu klären, warum die Gäste des Hotels Rigopiano nicht schon Stunden vor der Lawine evakuiert wurden.

Der erste Vorwurf: Im Gebiet am Berg Gran Sasso steigt zum Zeitpunkt der Lawine die Gefahrenstufe von vier auf fünf. Dennoch wurde kein Notstand ausgerufen, der viel mehr Rettungskräfte hätte mobilisieren können. 

Nach dem dritten Nachbeben wollten alle Gäste abreisen

Bereits am Mittwochmorgen um sieben Uhr schickt das Hotel ein Mail an die Präfektur mit der Bitte, die tief verschneite Strasse zu räumen. Doch nichts geschah. 

Hoteldirektor Bruno Di Tommaso entkommt dem Unglück am Gran Sasso, weil er am Dienstagabend vor dem Unglück nach Pescara (I) eilt, um die Schneeräumung zu veranlassen. Erfolglos – bis die Lawine anrollt.

Vom Hotel Rigopiano sind es neun Kilometer zum nächsten Ort. Als der Schneefall gefährlich wird, sperrt die Gemeinde Farindola die Zugangsstrasse, statt sie zu räumen. Die Hotelgäste sitzen fortan in einer tödlichen Falle. 

Die Regionalzeitung «Il Centro» findet raus: Niemand in der Gegend verfügte offenbar über angemessenes Räumungsgerät. Fünf der sieben Schneefräsen in der Provinzhauptstadt Chieti sind ausser Betrieb. Auch die Fräse in Pescara ist seit dem 6. Januar kaputt. Es fehlen öffentliche Mittel.

Da es in ganz Mittelitalien heftig schneite, wurde auch kein Ersatzgerät aufgetrieben.

Der Sarg von Alessandro Giancaterino ist in Farindola aufgebahrt. Er ist eines der bisher gefundendenen Todesopfer der Katastrophe.
Foto: AP/Gregorio Borgia

«Ich hatte gegen 16 Uhr den Hotelbesitzer Roberto Del Rosso am Telefon gehört. Er war in grosser Sorge wegen des Schnees. Die Gäste hatten Angst», sagt Direktor Di Tommaso, «schon nach dem dritten Nachbeben wollten die meisten abreisen. Sie wollten die Nacht im Auto verbringen.» 

Erstem Hilferuf wurde nicht geglaubt

Die Touristen hatten ihre Koffer gepackt, ihre Autos standen schon in einer Reihe, um loszufahren. Nur der Weg war schon viel zu tief verschneit. 

Es wird ein Warten auf den Tod. Eine gigantische Lawine löst sich vom Hang oberhalb, überrollt die Hotelanlage. Die Schneemenge entspricht der Ladung von 4000 LKWs.

120'000 Tonnen schwer waren die Schneemassen, sie donnerten mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h zu Tale.
Foto: Keystone

Um 17.40 Uhr erreicht der Notruf eines Überlebenden die Gemeinde Silvi bei Teramo. Koch Giampietro P. (38) hatte seinen Chef erreicht, ihn alarmiert: «Das Hotel gibt es nicht mehr. Meine Frau und meine Kinder (6 und 8) sind unter den Trümmern.» Quintino Marcella gibt den Notruf weiter. Doch niemand glaubt dem Wirt zunächst. Giampietros Familie ist unter den ersten Menschen, die am Freitagmorgen aus den Hotel-Trümmern gezogen wurden (BLICK berichtete). 

Erst gegen Mitternacht, also sechs Stunden nach dem Notruf, machen sich Rettungsmannschaften auf den Weg. Die ersten, die mit Skiern losziehen sind ehrenamtliche Helfer des Zivilschutzes.

Staatsanwaltschaft ermittelt wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung 

Für die Staatsanwälte Andrea Papalia und Cristina Tedeschini aus Pescara (I) gilt es nun zu ermitteln, warum mit der so dringend benötigten Hilfe gezögert wurde. Sie haben ein Strafverfahren eingeleitet wegen Verschuldung einer Katastrophe und mehrfacher fahrlässiger Tötung.

Es werden Autopsien an den bislang geborgenen sechs Leichen vorgenommen und geklärt, woran sie letztendlich gestorben sind. Auch die letzten Nachrichten, die sie an ihre Verwandten und Freunde schickten, werden geprüft.

«Wir werden mit all unseren professionellen Kräften versuchen aufzudecken, wie es zu diesem entsetzlichen Ereignis kommen konnte», verspricht Staatsanwältin Tedeschini.

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