Heute um 6.48 Uhr sind zwei Nahverkehrszüge auf der Strecke von Holzkirchen nach Rosenheim in Oberbayern frontal zusammengestossen. Zum Unglück kam es auf der Höhe eines Klärwerks bei Bad Aibling im Landkreis Rosenheim, rund 50 Kilometer südöstlich der Landeshauptstadt München.
Bisher bestätigt sind zehn Todesopfer, darunter einer der beiden Lokführer. Er sei bei dem Crash aus der Lokomotive geschleudert worden. Mindestens ein Opfer wurde zunächst noch vermisst und in den Trümmern vermutet.
Die Unfallstrecke liege in einer Kurve, so dass die beiden Lokführer vermutlich vorher keinen Sichtkontakt hatten und «weitestgehend ungebremst» zusammenstiessen, sagte der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt am Mittag in Unglück in Bad Aibling. Auf der Strecke sei eine Geschwindigkeit von bis zu hundert Stundenkilometern möglich, sagte Dobrindt weiter.
Automatisches Signalsystem ausser Kraft gesetzt
Das schwere Zugunglück geht offenbar auf «menschliches Versagen» zurück. Wie das «RedaktionsNetzwerk Deutschland» aus Ermittlerkreisen erfuhr, hatte ein Bahnmitarbeiter das automatische Signalsystem ausnahmsweise ausser Kraft gesetzt, um einen verspäteten Triebwagen durchzuwinken.
Dieser hätte auf der eingleisigen Strecke rechtzeitig einen sogenannten Begegnungspunkt erreichen müssen, um dem entgegenkommenden Zug auszuweichen. Dies schaffte er jedoch nicht: Auf Weisung des Stellwerks sei der Lokführer weitergefahren, obwohl das reguläre Signalsystem eigentlich auf Rot stand – und steuerte direkt in die Katastrophe.
Bei dem Unglück starben nach Polizeiangaben zehn Menschen. 18 Personen wurden schwer verletzt, 63 weitere kamen mit leichten Verletzungen davon. Nach Angaben eines Polizeisprechers waren die beiden Regionalzüge mit etwa 150 Fahrgästen besetzt.
Experten schliessen Versagen von Sicherungssystem aus
Das automatische Sicherungssystem PZB90 sorgt mittels Mikroprozessoren und Magneten eigentlich dafür, dass Züge zum Stehen kommen, wenn Signale nicht beachtet oder die zulässigen Geschwindigkeiten nicht eingehalten werden.
Passiert ein Zug ein Vorsignal, das auf «Warnung» steht, hat der Lokführer Zeit, seinen Zug abzubremsen. Der Vorgang wird vom System überwacht. Das bedeutet, die Geschwindigkeit des Zuges stets durch die Technik kontrolliert wird. Steht der Zug beim anschliessenden Hauptsignal nicht still, bremst das System die Bahn bis zum Stillstand ab.
Mit dem Signum ist auf dem Schweizer Schienennetz ein ähnliches Zugsicherungssystem wie das PZB90 im Einsatz. «Es ist sehr unwahrscheinlich, dass das PZB90 versagt hat», sagte ein Schweizer Bahnexperte auf Anfrage von BLICK. Das System sei überdies noch vor einer Woche überprüft worden, wie Minister Dobrindt sagte.
15 Rettungshelikopter im Einsatz
Die Rettungsarbeiten gestalteten sich äusserst schwierig, weil die Unglücksstelle schwer zugänglich war. Verletzte wurden deswegen auch von Helikoptern aus mit Hilfe von Seilwinden gerettet.
Ein Notarzt berichtete, es seien bei dem Aufprall enorme Kräfte freigeworden. Ein Verletzter sei so eingeklemmt gewesen, dass er erst nach zweieinhalb Stunden habe befreit werden können. Währenddessen sei er mit Sauerstoff und Schmerzmitteln versorgt worden.
Die Unglücksstelle liegt am Waldrand neben einem Seitenkanal des Flusses Mangfall. Lediglich ein schmaler Fahrweg führt in die Nähe der Unfallstelle. Rettungskräfte waren mit Autos und Booten im Einsatz. Sie wurden auch von Mitgliedern der Bergwacht unterstützt.
In der Luft waren rund 15 Helikopter von Rettungsdiensten und Polizei unterwegs. Auf dem Bahngleis näherten sich Helfer den Zugwracks mit von Hand geschobenen Draisinen. Die Züge sollen nach Angaben der Deutschen Bahn in den kommenden Tagen mit schweren Eisenbahnkränen geborgen werden.
Augenzeuge: «Ich hörte überall Leute um Hilfe rufen»
Ein Passagier des Meridian-Zuges berichtete dem Newsportal «Mangfall24.de» vom Crash: «Ich schloss die Augen, schützte meinen Kopf mit den Händen, weil ich befürchtete, dass der Waggon umfallen könnte.» Dann habe er «überall Leute um Hilfe rufen» gehört. «Wir brachten Zuginsassen alle an den Damm, nur einen Mann mit dem gebrochenen Bein konnten wir nicht transportieren. Kurz darauf kamen die ersten Rettungskräfte.»
Besonders grauenvoll: Vielen Opfern konnten die unversehrten Passagiere nicht helfen. «Aus dem zertrümmerten Teilen des Zugs kamen Hilferufe, aber man konnte in der Dunkelheit nichts tun. Ausserdem blitzte immer wieder die Oberleitung auf.» Ein anderer Passagier sagte zu «Bild.de», die Leute seien «wie Puppen durch die Luft geflogen».
Wegen Faschingsferien viel weniger Menschen unterwegs
Aufgrund der Faschingsferien am Dienstag in Bayern waren weniger Menschen mit der Bahn unterwegs als an normalen Werktagen, wie der Sprecher weiter sagte.
Die beiden zusammengestossenen Züge waren vom Schweizer Zughersteller Stadler Rail produziert worden. Über die Unfallursache könne Stadler als Hersteller allerdings keine Auskunft geben, teilte die Firma am Dienstag mit. «Wir warten auf die ersten Erkenntnisse der Ermittlungsbehörden vor Ort.»
Stadler habe mit Bestürzung vom Zugunglück Kenntnis genommen, hiess es in der Mitteilung weiter. «Unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme gehört den Verunglückten und ihren Angehörigen.»
Merkel: «Ich bin bestürzt und traurig»
Das Unglück ist eines der schwersten der vergangenen Jahre in Deutschland. In Hordorf in Sachsen-Anhalt prallten vor fünf Jahren ein Regionalzug und ein Güterzug ebenfalls auf einer eingleisigen Strecke aufeinander. Damals kamen zehn Menschen ums Leben. Danach wurde das Kontrollsystem PZB auf den Haupt- und Nebenstrecken Pflicht.
Das Zugunglück löste in Deutschland landesweit Entsetzen aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte: «Ich bin bestürzt und traurig.» Sie sei in Gedanken bei den Verletzten und Angehörigen der Opfer. Auch der russische Präsident Wladimir Putin und der französische Premierminister Manuel Valls schlossen sich mit Beileidsbekundungen an.
Aus der Schweiz schrieben Bundespräsident Johann Schneider-Ammann und Aussenminister Didier Burkhalter an die deutschen Amtskollegen Joachim Gauck und Frank-Walter Steinmeier, um ihre Betroffenheit und ihr Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen. Von Schweizer Opfern habe man keine Kenntnis, hiess es vom Aussendepartement (EDA) in Bern.
Aus Respekt vor den Opfern sagten nach der in Bayern regierenden CSU auch die Parteien SPD, Grüne und Linke ihre traditionellen Aschermittwochs-Veranstaltungen im ganzen Bundesland ab.