Am Bahnhof San Giovanni eskaliert die Situation. Noch am Freitag berichtete BLICK über das Flüchtlingscamp in Como (I). Da waren dort 400 Gestrandete. Am Sonntag sind es bereits 600. «Die Zahl verdoppelt sich wöchentlich», sagt Pater Giusto Della Valle (55). Der katholische Priester kümmert sich vor allem um Familien mit Kindern, um Minderjährige und Kranke im Bahnhofspark.
Junge Eritreer, Äthiopier, Somalier sitzen dort fest. Sie wollen weiter ins Tessin. Doch kaum betreten sie Schweizer Boden, werden sie zurückgeschafft. Letzte Woche hiess es noch, es handle sich um Flüchtlinge, welche die Schweiz nur durchqueren wollen.
Doch BLICK erfährt: Viele Flüchtlinge wollen in der Schweiz bleiben. Sie haben um Asyl gebeten. Und wurden dennoch abgewiesen. «Sie haben nicht einmal die Chance, Asyl zu beantragen. Wir treffen hier Menschen, die Verwandte in der Schweiz haben. Sogar Minderjährige sind darunter. Sie haben versucht, Asyl zu beantragen und wurden nicht erhört», sagt Lisa Bosia Mirra (43) aus Genestrerio TI.
Die Tessiner SP-Politikerin leitet das Hilfswerk Firdaus. Mirras Team verteilt warmes Essen an die Flüchtlinge. Sie selbst kümmert sich auch um Einzelschicksale. In einem Ringbuch dokumentiert sie Dutzende Namen und Geschichten von Menschen, die mit ihrem Asylgesuch im Tessin scheiterten. Lisa Bosia Mirras Fazit: «Ich verstehe nicht, nach welchen Kriterien die Tessiner Behörden einen Antrag erlauben.»
Amnesty International (AI) hat ähnliche Erfahrungen gemacht. «In einem Fall ist sogar der Vater in der Schweiz. Dennoch dürfen Angehörige nicht einreisen», sagte Denise Graf von AI dem Sender Radio3i. Auch die Schweizer Flüchtlingshilfe klärt solche Fälle ab.
BLICK konfrontiert die zuständige Oberzolldirektion mit den Vorwürfen. Doch die geht nicht auf die konkreten Fälle ein und verweist allgemein auf das Asyl- und Ausländerrecht sowie das Rücknahmeabkommen mit Italien. Dass auch Minderjährige zurückgeschafft werden, bestätigt die Oberzolldirektion: «Allerdings sind minderjährige Migranten bis zur Übergabe an eine andere Behörde jederzeit begleitet und betreut.» Dann landen sie im Camp von Como.
Denise Graf von AI sagt: «In Fällen, in denen Minderjährige Verwandte in der Schweiz haben, gilt das Wohl des Kindes. Werden die Kinder zurückgeschickt und sich selbst überlassen, wird klar gegen die Kinderrechtskonvention verstossen.» AI will nun beim Staatssekretariat für Migration intervenieren.