Am Freitag präsentierte die Nagra ihre Endlager-Vorauswahl für radioaktive Abfälle. Überraschend warf die Atom-Entsorgungsstelle dabei vier von sechs möglichen Standorten aus dem Rennen. Aus den übrig gebliebenen Regionen «Zürich Nordost» und «Jura Ost» wurde Empörung laut. Tenor: Wieso sollen wir mitarbeiten, wenn bereits feststeht, wo die Lager hinkommen?
Für die Co-Präsidentin der Grünen, Regula Rytz (52), ist das Mitwirkungsverfahren seit Freitag zur Farce verkommen: «Die Nagra handelt im Interesse der AKW-Betreiber und will nun rasch einen Standort durchdrücken.» Die Grünen seien bereit, mitzudiskutieren, «aber so kann es nicht weitergehen».
Rytz: «Die Reaktionen aus Zürich und dem Aargau haben gezeigt, dass auch die Kantone der Nagra nicht mehr vertrauen.» Sie fordert vom Bund, die Endlagersuche zu stoppen und die Behörde zu entmachten. Die Nagra müsse aufgelöst werden. Ein noch zu gründendes, von Atomkraft-Betreibern unabhängiges Institut solle die Tiefenlager-Suche neu aufnehmen. Rytz: «Damit kann man das Vertrauen der Bevölkerung wieder zurückgewinnen.»
Grünen-Dilemma
Nagra-Direktor Thomas Ernst (56) wehrt sich entschieden: «Das Schweizer Verfahren ist keine Farce. Die Standorte waren nicht vorher festgelegt. Wir haben uns für die sicherheitstechnisch besten entschieden.» Die Nagra stelle sich der kritischen Prüfung und sei zur Diskussion bereit.
Dass die Schweiz generell ein Tiefenlager braucht, bestreitet heute kaum jemand. Auch die Grünen zeigen sich bereit, bei der Suche mitzuwirken – unter der Voraussetzung, dass sie von unabhängigen Experten durchgeführt wird und möglichst rasch ein Termin für den Ausstieg aus der Atomenergie feststehe: «Es ist verantwortungslos, noch mehr hochgiftige Abfälle zu produzieren.» Das grüne Dilemma: Es geht um Müll, dessen Entstehung die Ökopartei nie wollte.
Support erhält Rytz aus der SP. Ihr ist die Nähe der Nagra zur Atomlobby schon lange ein Dorn im Auge. Nationalrat Beat Jans (50): «Man sollte das Steuergremium demokratischer und breiter abstützen.»
Hart gehen auch die zwei Geologen Walter Wildi (66) und Marcos Buser (65) mit der Nagra ins Gericht. Die Experten überwarfen sich 2012 mit der Entsorgungsstelle, als die «Sonntags-Zeitung» eine interne Planung mit den Standorten Zürich Nordost und Jura Ost publik machte. Wildi heute: «Jetzt haben wir genau das Resultat aus dem damaligen Nagra-Plan.» Seine Schlussfolgerung: Das Verfahren sei eine reine Alibiübung. Ganz anders sieht das Nagra-Direktor Ernst: «Dass die beiden Standorte denjenigen aus der Kostenstudie entsprechen, zeigt, dass die Nagra schon früher gut gearbeitet hat.»
Für Buser jedoch ist klar, dass die Nagra ihren Auftrag nicht mehr erfüllen kann: «Seit 43 Jahren gibt es sie, und wir haben noch immer keinen Standort. Die Nagra fährt dieses enorm wichtige Projekt an die Wand.»
In der Schweiz könne man ein Endlager nicht gegen den Widerstand der Region durchbringen. «Wenn die Leute an der Nase herumgeführt werden, sind sie nicht mehr bereit, den Prozess mitzutragen.»