Was ist schlimmer: Einer, der sich zuerst an einem Kind vergreift und danach betrunken Auto fährt? Oder einer, der zuerst betrunken Auto fährt und sich danach an einem Kind vergreift?
Obwohl in beiden Fällen die gleichen Delikte begangen werden, sind die Folgen für einen Ausländer nicht dieselben. Zumindest dann, wenn die Durchsetzungs-Initiative der SVP durchkommt. Im ersten Fall kommt der Täter nämlich ohne Landesverweis davon. Im zweiten Fall hingegen kommt es zur zwingenden Ausschaffung.
IMAGE-ERRORDas zweite Delikt ist entscheidend
Ein anderes Beispiel gefällig? Wird ein nicht vorbestrafter Ausländer wegen Brandstiftung verurteilt und bekommt ein paar Monate später noch eine bedingte Geldstrafe wegen Beschimpfung, ist kein Landesverweis vorgesehen. In umgekehrter Reihenfolge hingegen – zuerst Beschimpfung und danach Brandstiftung – erfolgt die zwingende Wegweisung.
Die beiden identischen Vergehen eines Wiederholungstäters werden unter dem Strich also ungleich geahndet. Entscheidend für eine Ausschaffung ist die Reihenfolge. Ausschlaggebend ist das zweite Delikt. Nur, wenn das später begangene Delikt im sogenannten Deliktkatalog 2 der SVP-Initiative aufgeführt ist, kommt es zur zwingenden Wegweisung.
IMAGE-ERROR«Die Initiative führt zu völlig willkürlichen, verzerrten und widersinnigen Urteilen, die unseres Rechtsstaates nicht würdig sind», sagt SP-Ständerat Hans Stöckli (BE).
«Da die Initiative alle Freiheits- oder Geldstrafen der letzten zehn Jahre zum Gradmesser nimmt, schwebt das Damoklesschwert der Ausschaffung über schätzungsweise 300’000 bis 400’000 Ausländern, die in dieser Zeit auch wegen Bagatell- oder sogar Antragsdelikten wie einfacher Körperverletzung, Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch verurteilt wurden. Das ist Verhältnisblödsinn», so Stöckli.
SVP-Nationalrat Gregor Rutz (ZH) hält dagegen. Das Ganze sei doch «juristisch klar»: Bei vorbestraften Tätern müsse nach der Verurteilung zwingend eine Landesverweisung ausgesprochen werden, wenn sie ein im entsprechenden Deliktskatalog erfasstes Delikt begehen. «Es steht dem Richter frei, auch bereits bei der ersten Verurteilung eine Landesverweisung auszusprechen. Das ist heute schon möglich – auch ohne neues Gesetz.»
IMAGE-ERRORRutz nimmt die Argumentation der Gegner aufs Korn: Offenbar seien sie der Auffassung, dass auch bei nicht vorbestraften Brandstiftern eine zwingende Ausweisung angebracht sei. «Wenn sie den Deliktskatalog als zu lasch erachten, kann er natürlich jederzeit durch den Gesetzgeber ergänzt oder vom Verfassungsgeber angepasst werden. Einer Verschärfung steht nichts im Wege.»
Eine nochmalige Verschärfung kommt den Gegnern aber eh nicht in die Tüte. Stöckli macht klar: «Schon die vom Volk angenommene Ausschaffungs-Initiative wird mehr als erfüllt!» Die Initianten selbst hätten mit 1500 bis 1800 Wegweisungen pro Jahr gerechnet. «Mit dem neuen und strengen Ausführungsgesetz werden es sogar gegen 4000 sein.» Die Durchsetzungs-Initiative hingegen gehe mit mindestens 10’'000 Landesverweisen weit über die frühere Ausschaffungs-Initiative hinaus. «Sie ist eine absolute Mogelpackung.»
SP-Jositsch: «Unkontrollierbare Selbstschussanlage»
Die Unklarheit, zu wie vielen Ausschaffungen es durch den Einbezug von Bagatelldelikten in der Durchsetzungs-Initiative kommen würde, veranlasst auch SP-Ständerat und Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch (ZH), Nein zu stimmen. Er empfiehlt allen, die unsicher sind, erst das Gesetz, mit dem die bereits angenommene Ausschaffungs-Initiative umgesetzt wird, in Kraft treten zu lassen.
Am «BLICK on tour»-Podium warnte er vor einem Ja: Mit der Durchsetzungs-Initiative werde eine «unkontrollierbare Selbstschussanlage» in die Verfassung gepflanzt. Jositsch: «Wenn wir dann merken, dass die Initiative Folgen hat, die wir nicht gewollt haben, können wir nichts mehr ändern.»
Dies, weil man die Verfassung im Nachhinein so leicht nicht mehr ändern kann. «Sollte sich zeigen, dass bei der Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative nachgebessert werden muss, kann man das dagegen ohne Probleme tun.» Und er, versprach der Zürcher Ständerat, werde sich dieser Diskussion sicher nicht verschliessen.